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Das jakobinische Commonwealth

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Vor kurzem hat im Elysee-Palast, dem Sitz von Präsident de Gaulle, die erste Sitzung des Exekutivrates der französischen „Gemeinschaft” (Communautė) stattgefunden. Man hat diesen ersten Zusammentritt der „Regierung” der französisch-afrikanischen Völkergemeinschaft mit Spannung erwartet. Würde es dem neuen Regime in Paris gelingen, die allmächtige Tradition des jakobinischen Zentralismus zu durchbrechen und ein von wirklich föderalistischem Geiste durch- tränktes „Commonwealth” nach britischem Muster zu schaffen? Nur wenn das gelingt, hat Frankreich eine Chance, die schrittweise Auflösung seines Empire aufzuhalten.

Es hat sich gezeigt, daß die übermächtige Person von de Gaulle nicht nur in Frankreich, sondern auch in den Beziehungen zwischen Paris und dem ehemaligen Kolonialreich eine Ausnahmesituation geschaffen hat. Wenn die offiziösen Meldungen eine überraschend „harmonische Atmosphäre” der Verhandlungen verzeichnen konnten, so lag das vor allem daran, daß sie völlig von de Gaulle dominiert wurden. Es fehlte unter den Ministerpräsidenten der zwölf afrikanischen „autonomen Republiken”, die mit de Gaulle und 12 französischen Ministern den Exekutivrat bildeten, ein Gegenspieler vom Format eines Seku Ture. Die vom senegalesischen Ministerpräsidenten D i a und seinem sudanesischen Kollegen Kone geführte Minderheit der „Föderalisten” konnte keine ihrer Forderungen durchsetzen. Das schließt jedoch nicht aus, daß die Agitation weitergeht, sobald die schwarzen Staatschefs dem persönlichen Strahlungskreis des „Präsidenten der Republik und der Gemeinschaft” wieder entzogen sind.

Daß in der Symbolik der „Gemeinschaft” die Attribute des jakobinischen’ Zentralismus — die Trikolore als Fahne, die Marseillaise als Hymne, „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit” als Devise — beibehalten wurden, ist noch nicht ausschlaggebend. Und das Französische als Sprache der „Communautė” ist unerläßlich — ohne diese Weltsprache könnte sich ein Neger vom Kongo mit einem Neger aus Senegal gar nicht verständigen.

Aufschlußreich ist jedoch, wie das Seilziehen um die Hochkommissare ausging. Die „Föderalisten” wollten dem faktischen Uebergewicht Frankreichs durchaus Rechnung tragen; sie wollten ihren Republiken nur insofern ein Eigenleben sichern, als diese das von den Zentralorganen Beschlossene selbst ausführen sollten. Sie hatten darum verlangt, daß für die einzelnen französischen Hochkommissare bei den jeweiligen Republiken ein Agreement beantragt werde, und diese Hochkommissare überhaupt eher symbolische als praktisch eingreifende Figuren sein sollten — vergleichbar etwa den Vertretern der britischen Krone in den Dominions. Das ist den Föderalisten jedoch nicht zugestanden worden.

Weiter ist festzustellen, daß die „Gemeinschaft” keine Ständekammer von der Art des Bundestages oder des schweizerischen Ständerates haben wird. Der „Senat” der Communautė wird proportionell zur Bevölkerung auf gestellt; ein Sitz pro 300.000 Einwohner, und keine Republik soll weniger als drei Vertreter haben. Dadurch hat Frankreich samt Algerien, den überseeischen Departementen und deni . verr bliebenen Rest der Kolonien mit seinen 186 von insgesamt 284 Senatssitzen natürlich das Uebergewicht. Auf die zwölf Republiken (Senegal, Mauretanien, Sudan, Dahomey, Elfenbeinküste, Tschad, Niger, Obervolta, Gabon, Kongo, Zentralafrikanische Republik, Madagaskar) mit ihren schätzungsweise 30 bis 35 Millionen Einwohnern fallen nur 98 Sitze. Dazu kann der „Exekutivrat” kein Gegengewicht als Ständevertretung bilden. Zwar hat jede Republik in ihm gleichmäßig einen Sitz. Aber nicht nur stand den Negerministerpräsidenten die gleiche Zahl von französischen Vertretern, de Gaulle inbegriffen, gegenüber — es wurde im Exekutivrat, wie der offiziöse „Figaro” berichtet, auch gar nicht abgestimmt.

Neu ist immerhin, daß der Zentralismus von Paris zwar wohl weiterbesteht, aber sich ganz in der Person des Präsidenten der Republik konzentriert, der in Personalunion Präsident der Gemeinschaft ist. De Gaulle allein bestimmt, wieviel französische Minister in den Exekutivrat zugezogen werden. Er ist es, der die Mitglieder des Obersten Schiedsgerichtes der Gemeinschaft ernennen wird. Und sogar in einem symbolischen Detail wie der Flaggenfrage hat er freie Hand: de Gaulle wird festlegen, welches Zeichen noch in die Trikolore der Gemeinschaft eingefügt wird, um sie von der Trikolore der fränkischen Republik zu unterscheiden.

Es fragt sich, ob es nicht weiser gewesen wäre, wenn Paris seinen Partnern zumindest juristisch freieren Spielraum gelassen hätte. Das natürliche Uebergewicht Frankreichs und die noch lange dauernde Angewiesenheit der jungen Negerstaaten auf Hilfe von außen hätten das durchaus erlaubt. Ein sichtbareres Eigenleben dieser Staaten hätte es erleichtert, von Guinea und Ghana herüberdringende „separatistische” Keime abzufangen.

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