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„Boche in Frankreich“

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Daß mit dem Deutschenhaß in Frankreich nicht mehr viel in Bewegung zu setzen ist, weiß jeder, der in Frankreich lebt. Während des zweiten Weltkriegs haben, im Gegensatz zum ersten, Tausende von Franzosen Tausende von Deutschen kennengelernt. Und das hat, bei allem, was geschehen ist, doch allzu summarische Urteile, wie sie drei Jahrzehnte früher üblich waren, unmöglich gemacht. Man hat gemerkt, daß es auch jenseits des Rheins „solche und solche“ gibt.

Dieser Stand der Dinge wird nun aber einer Probe ausgesetzt, der die unmittelbar Beteiligten auf französischer und deutscher Seite nicht ohne eine gewisse Besorgnis entgegensehen. Deutsche Touristen können seit langem in hellen Scharen Frankreich überschwemmen, ohne irgendwelchen Äußerungen unfreundlicher Art ausgesetzt zu sein. Aber nun sollen Mitte November zwei Panzergrenadierbataillone und zwei Fallschirmjägerbataillone der Bundeswehr für kurze Zeit in die Truppenausbildungslager von M o u r m e-1 o n und S i s s o n n e bei Reims verlegt werden. Depots besitzt die Bundeswehr schon seit einiger Zeit in Frankreich, aber sie werden von französischem Personal bewacht. Jene Panzergrenadiere und „Paras“ werden also die ersten deutschen Soldaten sein, die seit dem zweiten Weltkrieg in Uniform französischen Boden betreten. Gewiß, die gleichen Uniformen sind es nicht mehr, man hat sie ja zu „entmartialisieren“ und dem westlichen Stil des „Technikers in Uniform“ anzupassen gesucht. Aber deutsche Soldaten sind es trotzdem ...

Diese Truppenverlegung ist zweifellos ein Versuchsballon. Sofern es trotz de Gaulle bei der gemeinsamen Verteidigung Westeuropas bleibt, müssen ja früher oder später westdeutsche Truppen französischen Boden betreten können — bei der Tiefenstaffelung der modernen Kriegführung geht das gar nicht anders. Die Stäbe wollen nun offensichtlich abtasten, wie sich die französische Öffentlichkeit verhält. Eine Protestdemonstration kommunistisch inspirierter R6si-stanceverbände vor der Pariser Oper wurde letzten Samstag vom Innenminister verboten. Wie aber werden sich die Einwohner von Mour-melon verhalten? Es war nicht ungeschickt, diesen Ort zu wählen. Er hat seit jeher von den nahegelegenen Truppenübungsplätzen gelebt. Aber die französische Armee kämpft seit Kriegsende in Übersee, und das hat Mourmelon zu spüren bekommen: in zwei Jahrzehnten ist die Einwohnerzahl des Ortes von 20.000 auf 5000 herabgesunken.

Der Bürgermeister von Mourmelon, der dieses Amt seit Kriegsende ausfüllt, hat sich allerdings nicht von Nützlichkeitserwägungen beeinflussen lassen. Von Beruf Arzt, Kriegswaise des ersten Weltkrieges, Kriegsgefangener und Widerstandskämpfer des zweiten Weltkrieges, hat er den aus Paris herbeigeeilten Berichterstattern rundweg erklärt: „Es würde mich schockieren, sie hier in den Straßen defilieren zu sehen — selbst wenn sie nachher Achtungstellung vor mir annehmen würden. Die Wahl einet so .sensibilisierten' Gegend wie der unsern ist schlecht.“ (Die deutschen Truppen zogen 1870, 1914 und 1940 in Mourmelon ein.) Auch die andere Respektsperson des Ortes, der Cure, ist eher ablehnend: „Das ist alles noch viel zu heißt Gewiß, wir müssen uns verständigen. Aber hier nicht so schnell. Es ist zu schwierig, von den Leuten zu verlangen, daß sie zweihundertprozentige Christen sein sollen. Nun, man kann es ja schließlich probieren. Ich bin friedlich (paeifique) geworden, aber keineswegs Pazifist (paeifiste).“

Die Vorsitzenden der beiden örtlichen Frontkämpfervereine haben sich, wie „Paris-Presse“ meldet, für recht salomonische Haltungen entschieden. Der eine sagt: „Die Franzosen haben sich einen Chef gewählt. Dann sollen sie ihm auch folgen! Ich auf jeden Fall, ich gehorche — obwohl ich beim Referendum gegen de Gaulle gestimmt habe.“ Und sein Kollege von der Konkurrenz will den Entscheid seines Verbandes abwarten.

Am positivsten scheint die Stimmung beim Gewerbe zu sein. Der Metzger meint ohne langes Überlegen: „Der Krieg ist vorbei! Wir müssen endlich zusammenkommen.“ Und der Besitzer eines Bistros: „Bei ihnen drüben wird man ja gut empfangen, also ...“ Und als einer seiner Kunden am Schanktisch einwirft, daß „sie“ jedenfalls vom Trottoir runtermüßten, wenn er komme, wirft der Wirt ein: „Man braucht sich ja nur zu sagen, daß es Holländer sind...“ Holländer gibt es nämlich schon lange auf dem Truppenübungsplatz, und sie kommen mit der Bevölkerung gut aus. Im größten Restaurant im Ort ist die Wirtin schwankend: „Ein bißchen seltsam wird es mir ja vorkommen. Aber man hat ja schließlich schon alles erlebt. Ich werde ihnen eben auftischen wie den andern auch.“ Der Fahrradhändler hingegen ist entschieden: „Ich werde mich nicht zurückhalten können, wenn sie singend vorbeimarschieren. Für mich sind und bleiben sie nun mal .boches'...“

Auf dem Friedhof steht übrigens nicht nur ein kleines Kriegerdenkmal für die Gefallenen von Mourmelon. Etwas weiter hinten findet sich auch eine Stelle zur Erinnerung an die in Frankreich gefallenen Bayern. Und der Gärtner pflegt beide Ehrenmale...

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