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Frankreich und Deutschland

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Während die französischen Besatzungsorgane in Deutschland sich bereits durch das seelische Dilemma gekämpft haben, was es bedeutet Besieger eines gehaßten Feindes zu sein und seine Verwaltung zu führen, änderte sich am Ton des Mutterlandes gar wenig, wenn die Rede auf Deutschland kam. Die Besatzungsbehörden haben ihren Haß schon längst verloren, wenn sie auch einige Ortsnamen, wie Oradour-sur-Glane zum Beispiel, auch nicht vergessen haben. Aber es ist unmöglich, jemanden zu hassen, wenn man ihm gleichzeitig tagtäglich helfen muß. Und so ist langsam der Ausdruck „nos ennemis, les Fritz“ in den Hintergrund getreten, um dem Ausdruck „nos administres“ Platz zu machen, Und es ist charakteristisch zu bemerken, welche Reaktion auf die Züricher Rede Churchills wahrzunehmen war, als er eine Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland als erste Vorbedingung zur europäischen Föderation vorschlug.

Während die französ;sche Presse im allgemeinen scharf auf die noch offenen Wunden Frankreichs hinwies, die von Deutschland geschlagen wurden, nahm gleichzeitig die ki Konstanz erscheinende französische Zeitung „Nouvelles de France4' eine viel großzügigere Stellung ein. Es ist leicht aus der Ferne ein ganzes Volk zu hassen — immer wieder müssen wir zu diesem Thema zurückkehren —, aber es ist schwer, wenn man es in seinen Einzelpersonen kennen und verstehen lernt. Haben nicht eben die Franzosen den Spruch geschmiedet „tout comprendre c'est tout pardonner“? Und wenn man auch vielleicht nicht alles verstehen kann, so verzeiht man doch schon manches, oder geht stillschweigend darüber hinweg . . .

Diese Entwicklung, die mancherorts in der Besatzungszone zu spüren ist, ist kl Frankreich fast noch fremd. Besonders spitzt sich die Stimmung wegen der wirtschaftlichen Not Frankreichs zu, da das Land auf die deutsche Kohle angewiesen ist. Ein grelles Licht wirft eine Zeichnung auf die Lage, die in der vergangenen Woche ia einer Pariser Wochenzeitung abgedruckt wurde. An einem riesigen Kamin (Aufschrift „Ruhr“) wärmt sich die protzige Germania; durch den offenen Türspalt sieht man auf die barfüßig im Schnee stehende französische Marianne; und Germania spricht zum neben ihr stehenden Soldaten: „Tommy, schließe die Tür, mich friert es.“

Die Kohle —, das ist der Grund, warum eine so offensichtliche Diskrepanz zwischen der anglo-amerikanischen Auffassung und der französischen Ansicht über che Behandlung Deutschlands herrscht. Außer den seelischen Gründen sind es jene der wirtschaftlichen Not, die manche Organe dazu veranlassen, England und Amerika offen der Liebedienerei an Deutschland zu beschuldigen. So wirkt sich che französischdeutsche Spannung auch auf der internationalen Ebene aus.

Aber die seelischen Gründe! Frankreich fShlt sich von Deutschland bedroht. Das ist keine einfache „Psychose“, oder — wie mir ein Leser als Erwiderung neulich geschrieben hat — ein getarnter „Drang nach Osten“. Es wäre sehr verfehlt, die Probleme Europas lösen zu wollen, indem man bis auf Karl den Großen zurückgeht, um an Hand von alten Urkunden und der Aufteilung des Karolingerreiches che fran-

zösisch-deutsche Streitfrage lösen zw wollen. Wenn man das heutige Europa verstehen will, so ist es richtiger, wenn man — gewiß, eingedenk der Vergangenheit —, politisch bei dem Alter der großen europäischen Revolutionswelle 1789—1848 beginnt, das gleichzeitig auch eine philosophische Neugeburt bedeutet hat. Seit dieser Zeit hat Frankreich dreimal einen deutschen Angriff erleben müssen. Sein Mißtrauen dem Reich gegenüber, dessen Einheit im Schloß der französischen Könige proklamiert wurde, ist wohl zu verstehen. Und zu diesem kriegsgeborenen Mißtrauen gesellt sich noch das friedensgeborene des Vergleiches der demographischen Statistiken der beiden Länder.

Wenn sich trotzdem manche Stimmen für eine besonnenere Deutschlandpolitik in Frankreich erhoben haben, so sind diese nicht unerwidert geblieben. In der Schweizer Zeitschrift „Welt von heute“ macht der Heidelberger Professor Weber den überraschenden Vorschlag, „so oft sich Frankreich von Deutschland bedroht fühlt, hat Frankreich das Recht in Deutschland einzumarschieren“. Ein internationales Forum — etwa die UNO — soll dann untersuchen, ob dieser

Schritt begründet war, und die notwendigen Maßnahmen treffen.

Dieser Vorschlag an sich ist überraschend. Noch überraschender aber sind di weiteren Erklärungen aus dem Munde des Gelehrten der Universität Heidelberg, die immerhin in der amerikanischen Zone liegt. Er vergleicht die verschiedenen Besatzungsmächte miteinander, und sagt dann, daß sich die Deutschen am besten mit den Franzosen verstehen können, wenn die Franzosen es nur wollen.

Es wäre sicherlich verfehlt, überspannte Erwartungen an diese Äußerungen zu knüpfen. Es ist ganz gewiß, daß die Deutschen nicht restlos die Worte aus Heidelberg unterschreiben würden. Immerhin sind sie für uns — die wir an die Richtigkeit der Erklärungen Churchills glauben, daß nämlich ein friedliches Europa nur aufgebaut werden kann, wenn die französischdeutsche Spannung eliminiert wird — ein Zeichen einer zur Verständigung bereiten Richtung, che wir gerne auch weiterentwickelt sehen würden.

Der nächste Schritt müßte zweifellos von Frankreich — den Franzosen im Mutterlande — getan werden. Nachdem alle Besatzungsmächte ihre anfängliche Politik Deutschland gegenüber abgeändert haben, kann Frankreich nur schwer beim Anfangsstadium beharren. Die kürzliche Deutschlandreise des Staatssekretärs Pierre Schneiter läßt auch auf eine Neuformulierung des französischen Standpunktes hindeuten. Die Grundlagen wären hiezu gegeben. Die bisherige Besatzungspolitik versuchte sich an die Tradition der Rheinländer und Süddeutschlands anzulehnen, die Verbündete und Handelspartner Frankreichs gewesen waren. Diese Tendenz wird in der Presse und in der Literatur der Besatzungszone herausgestrichen. Die neue „Rheinpfajz“, die Universität Mainz — sie alle bedeuten Schritte auf diesem Wege.

Deutschland ist — wie die Geschichte der letzten 80 Jahre es zur Genüge bewieser hat — eine potentielle Gefahr für dei Frieden in Europa. Man bezwingt aber eine Gefahr nicht, indem man sie haßt. Man meistert sie, indem man sie gründlich kennenlernt, sowohl von ihren guten als auch von ihren schlechten Seiten, aber trotzdem nicht vergißt, daß man es mit einer — wenn auch potentiellen — Gefahr zu tun hat.

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