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Träumereien an französischen Kaminen 1959

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Paris, im Mai

Schon als ich an die Ateliertüre meines Freundes, des Bildhauers, klopfte, fielen mir die jungen Leute auf, die in das angrenzende Atelier strömten. Es schienen Schüler, Studenten, junge Arbeiter zu sein; sie trugen meist Lederjacken, hatten die Haare kurz geschnitten und zeigten eine frisch-verwegene Miene. Nur zwei darunter schienen älter als 25 Jahre zu sein.

„Da drüben ist vor kurzem ein junger Kaufmann eingezogen“, antwortet der Bildhauer auf meine Frage. „Im übrigen brauche ich dir gar nichts zu erklären. Du wirst gleich hören. Und meine ja nicht, du würdest träumen! Drüben sind alles junge Franzosen, und wir sind im Mai 1959 in Paris...“ Mehr will er nicht verraten. So schaue ich mir denn etwas zerstreut seine neuen Plastiken an und lausche mit einem Ohr nach dem Stimmengewirr, das durch . die dünne Atelierwand dringt. Plötzlich höre . ich Rufe: „Musik!“ Nun, Sidney Bechet dürfte . wahrscheinlicher sein als Vivaldi. Es wird still . drüben. Und plötzlich dringt ein eigenartiger Heulton herüber. Der Freund ergötzt sich an ’ meinem verdutzten Gesicht und sagt: „Ja, du hast recht gehört: es ist ein Stuka! Die haben keineswegs das Radio eingestellt — das ist eine Platte, die einer von den Leutchen selbst ver- . fertigt hat. Sie spielen sie jedesmal, wenn sie “ zusammenkommen. Das bringt sie in Stim- ( mutig...“

Der Stuka stürzt und stürzt, die Bordwaffen t knattern — ein Moment Stille — nun heult er wieder aufwärts — wwumm: die Bombe schlägt ein! Und jetzt: Heilrufe einer tobenden Menge, dann deutscher Marschtritt. Und im schönsten Herms-Niel-Stil beginnt es: „Stolz marschieren wir zu drei’n / Gradeaus in langen Reih’n ..." Wieder Marschtritt und wieder deutsche Soldatenlieder: „Immer wenn Soldaten singen / Freuen sich die Mägdelein ..." Ich frage meinen Freund, ob die drüben denn Deutsch verstehen. „Kein einziger von ihnen kann mehr als ein paar Brocken — das ist einfach ,Musik“ für sie." Eine Platte nach der anderen wird aufgelegt: „Volk ans Gewehr“, der Parademarsch der Legion Condor, das Horst-Wessel-Lied. Aber das Repertoire umfaßt auch nichtdeutsche Stücke: die Hymne der spanischen Falange; ein altflämisches Lied, das man auch in der deutschen Jugendbewegung gesungen hat; dann einen Marsch von getragen-schwerem Pathos, von dem ich später erfahre, daß er das Lied der „Decima Flottilla MAS“ aus der Spätzeit des italienischen Faschismus ist.

„Uebrigens“, meint der Freund, „bevor sie auseinandergehen, singen sie meist selbst noch was.“ So kommt es auch. Französische Lieder, die dem Herms-Niel-Stil angepaßt sind, und zuletzt — der „Westerwald“! Aber mit französischen Worten: „Camerades, nous marchons ...“ Und vom „Kampf" ist die Rede, von der „Patrie imperiale“ und davon, daß alle als „Paras“ kämpfen wollen.

Drüben bricht man auf. Die Schritte der jungen Leute verhallen im Treppenhaus. Es klopft und der Nachbar kommt herein: „Ich hoffe, daß wir sie mit unserer Musik nicht zu sehr gestört haben?“ — „Aber, ich bitte Sie“, sagt mein Freund, „Sie sind hier in Ihrem Lande — mir als Schweizer steht es nicht zu, Ihnen Vorschriften zu machen!“ So ergeht man sich eine Weile in freundnachbarschaftlichen Höflichkeiten. Doch dann kann ich mir die Frage nicht verkneifen: „Wenn Sie für die imperiale Sendung Ihres Vaterlandes sind — warum spielen Sie dann nicht einen Marsch wie .Sambre et

Meuse'?“ — „Nein, das ist ,piou-piou‘..Ich kenne diesen Ausdruck nicht, merke aber, daß es etwas Aehnliches sein muß wie der Ausdruck „wilhelminisch“ im Deutschen — er bezeichnet für diese jungen Leute offensichtlich eine überholte Stufe des Nationalismus. „Dieses Clairon- Geschmetter ist uns zu ,leicht'. So ziehen wir ja auch den Marsch der .Decima Flottilla MAS' der ,Giovinezza‘ vor, in der noch zu viel Belcanto ist. Jede Nation hat ihre Gefahren. Für uns Franzosen ist die größte Gefahr das .Leichte', das .Legere' — das verdirbt uns. Wir achten nur das alte Frankreich, das des 13. Jahrhunderts ..."

Aber ich gebe mich noch nicht zufrieden: „All die Jungens, die bei Ihnen waren, waren doch ganz kleine Kinder bei der Besetzung — die deutschen Märsche und Lieder, die Sie spielten, können doch gar keine lebendige Erinnerung für sie sein.“ — „Wir spielen diese Melodien auch gar nicht als historische Reminiszenz. Auch nicht als .deutsche' Melodien. Diese Märsche haben einfach für diese Jungens .Prestige'; sie spüren, daß sie .viril' sind. (Das Wort .viril' taucht im Gespräch immer wieder auf.) Es geht hier gar nicht um .Deutsch' oder .Französisch'. Es gilt einfach, etwas zu heben, was in uns drin liegt, und wir haben ausprobiert, daß die Musik, die Sie hörten, am besten geeignet ist, es uns bewußt zu machen. Diese Musik dient uns dazu, uns von all den Nichtigkeiten zu reinigen, die an der Dekadenz unseres, Landes schuld waren; wir formen mit ihr ein neues Lebensgefühl 1“

Nun frage ich den Besucher, wie er und seine Freunde sich zu den zahlreichen übrigen rechtsextremistischen Gruppen und Kampfbünden Frankreichs stellen. „Wir sind nicht .rechts'; man könnte uns höchstens /linke Rechte' (des droites de gauche) nennen. Wir wollen nicht, wie die traditionelle Rechte, für die Banken die Kastanien aus dem Feuer holen." Und er erklärt, daß sie zwar den „Bolschewismus“ bekämpfen, daß ihnen aber der einzelne Kommunist als „irregeleiteter Kamerad“ näherstehe als ein „Bourgeois“. Wer nicht „revolutionär“ sei, der tauge nichts. Ich frage weiter: „Kann man Sie denn-’-als- .Faschisten'- - bezeichnen?“ — „Wenn’s Ihnen Spaß macht..." -

Da kann ich es nicht unterlassen, ihm zu zitieren, was Franęois Mauriac — bei der Erwähnung des Namens des „Gewissens von Frankreich“ verzieht er das Gesicht zu geringschätzigem Lächeln — zwei Tage früher im „Express“ auf den Vorwurf geantwortet hat, er suche mit der Lupe Faschisten in Deutschland und täte besser daran, vor der eigenen Türe zu kehren: „Meine Antwort ist sehr schmeichelhaft für Deutschland: unsere Faschisten könnten wohl unser Unglück sein, kaum jedoch das der ganzen Welt. Wessen der deutsche Genius jedoch fähig ist, das wissen wir erst am jüngsten Tąge..." Dieser Meinung scheint unser Besucher nicht zu sein. Er geht auf Mauriac gar nicht ein, sondern erklärt mit einem gewissen Stolz: „Vor zwanzig Jahren war Deutschland der Träger des Faschismus — heute gibt es nur ein Land auf der Welt, in dem der Faschismus zu Hause ist: Frankreich.“ Und mit gutmütigem Spott erzählt er von jenen jungen Deutschen, die, „den Mund voll von demokratischen Phrasen", nach Frankreich kämen. „Wir haben ihrer schon manche .kuriert'. Wir diskutieren gar nicht mit ihnen, wir lachen sie nur aus — das .demontiert' sie am besten..."

Immerhin, Frankreich als Sitz des Faschismus — das scheint uns doch etwas übertrieben zu sein. Wir fragen unseren Besucher darum, wie groß seine Gruppe denn sei. Er weicht aus: „Darauf kommt es gar nicht an. Merken Sie sich eines: Faschismus ist keine Theorie, sondern er lebt allein aus der Aktion. Und die haben wir: in Afrika! Die französische Armee, die in Algerien kämpft, ist eine .Maschine, um Faschisten zu fabrizieren' (une machine ä fabri- quer des fascistes).“ (Ob er sich bewußt ist, daß er da — mit umgekehrtem Vorzeichen — wörtlich dasselbe sagt wie gewisse Linksextremisten?) Er fährt fort: „Den Flunderttausenden von jungen Franzosen, die dort drüben kämpfen, vergehen die demokratisch-humanitären- Phrasen meist recht bald. Sie entdecken dort drüben eine Realität, an die sie bisher nicht glaubten: die R a s s e. In der fremden Welt dort drüben entdecken sie, daß sie eine .Erbschaft' zu verteidigen haben: sie entdecken die .Solidarität der weißen Rasse'!“ Die Juden allerdings scheint man in diese Solidarität nicht einbeziehen zu wollen: der antisemitische Affekt ist ungebrochen spürbar.

Im übrigen, meint er, greife dieses Rassengefühl auch außerhalb der demobilisierten Algeriensoldaten um sich, und zwar bei den Arbeitern und den „kleinen Leuten“ weit stärker als im höheren Bürgertum: „In den Betrieben kommt es mehr und mehr dazu, daß die Arbeiter sich weigern, mit einem ,Bicot‘ (Algerier) zusammen zu arbeiten. Frankreich befindet sich in einem langsamen, aber nicht aufzuhaltenden Prozeß der Faschisierung. Wir brauchen gar keine Propaganda zu machen — die Realitäten sind viel bessere Erzieher als wir!“

Wir scheinen etwas skeptische Gesichter zu machen, denn unser Besucher fährt fort: „Wir sind keine engen Nationalisten — unser .Nationalismus' besteht ja darin, daß wir uns zweier Dinge bewußt werden: daß wir Franzosen und daß wir Weiße sind. Dort drüben in Afrika, das unsere ganze Vitalität absorbiert, entdecken wir Europa, Das .Europa' der Herren Monnet und Mollet hingegen ist ein Abstraktum der Technokraten, das keinen jungen Franzosen begeistert."

Und zum Schlüsse setzt er zu einer eigenartigen Definition seines Lebensgefühles an: „Faschismus ist immer ein Zeichen dafür, daß sich ein Land in einer Sackgasse befindet.“ Ich staune ein wenig über diese Definition, denn in einer Sackgasse gibt es schließlich nur zweierlei: entweder sich den Schädel einrennen oder rechtsum kehrtmachen. Aber der Besucher hat das letzte Wort: „Sie täuschen sich! Man kann mit einem Tank die Mauer niederrennen, um zur Straße auf der anderen Seite durchzustoßen ..."

An diesem Gespräch ist nichts erfunden: es ist genau so im Frühjahr 1959 in Paris geführt wofden. Es seien auch keine zu allgemeinen Schlüsse aus ihm gezogen. Gewiß denkt vorerst nur eine kleine Minderheit von Franzosen so. Aber es ist immerhin ein Faktor, der in alle Beurteilungen der künftigen französischen Politik einbezogen werden muß.

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