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Der Sdiatten Argouds

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Wenn eines Tages die Geschichte der vertraglich instituierten deutsch-französischen Freundschaft geschrieben wird — man spricht heute in Paris- etwas melancholisch vom „Glanz und Elend eines Vertrages“ -r* wird die gewaltsame Entführung des OAS-Obersten Antoine Argoud aus München eine nicht unbedeutende Rolle darin spielen. Der Prozeß gegen den einstigen Offizier und potentiellen Gegner des gaullistischen Regimes, den wir im Pariser Justizpalast erlebten, hat nicht nur eine rechtlich-moralische, sondern auch eine politisch-psychologische Seite. Und, zur Ehre der politischen Welt und der französischen Öffentlichkeit sei es gesagt: man traf überall auf Verlegenheit und Unbehagen.Keiner unserer Gesprächspartner — auch nicht die schärfsten Gegner und Bekämpfer der einst so gefährlichen Geheimarmee — hält den ■Schaden, der dem Ruf Frankreichs •mit der-illegalen Polizeiaktion, mit der harten Verurteilung Argouds und schließlich mit der offiziellen Weigerung der französischen Regierung, Argout an Deutschland auszuliefern, als Rechtsstaat zugefügt wurde, für geringer als den Nutzen für das Regime, mit der Verurteilung Argouds einen symbolhaften Schlußpunkt hinter die definitive Niederwerfung einer Aufstandsaktion zu setzen. Selbst diejenigen, die sich weigern, die OAS für tot zu halten und in ihr einen „Fisch, der im lauwarmen Wasser schwimmt“, erblicken, stets bereit,etwaige künftige Krisen und Schwierigkeiten der Regierungspartei für neue Aktionen zu nutzen, sprechen von einem Rechtsbruch, der so bald als möglich wieder gutgemacht werden müsse.

Prozeß gegen die Regierung

Oberst Argoud spielte beim Prozeß eine stumme Rolle, ohne zu verbergen, daß es seinem Temperament wenig behagt, sich in die merkwürdige Lage eines Zwitters versetzt zu sehen, der zwar physisch in Paris ist, juristisch aber nach wie vor in München lebt. Er beugte sich widerwillig der Prozeßordnung, die seinen vier Advokaten — vor allem dem dämonischen und von allen Gerichten gefürchteten Maitre Tixier-Vignancour und dessen berühmten Mitarbeiter Maitre Le Coroller — nur unter der Voraussetzung ein Auftreten gestattete, daß der Angeklagte bei den Vernehmungen der Hauptverhandlung wenigstens „physisch“ anwesend ist.

Dabei muß man . wissen, daß Maitre Tixier-Vignancour vor einiger Zeit den Entschluß gefaßt hatte, bei den kommenden Präsidentenwahlen als Kandidat der Rechtsopposition für das Elysee gegen de Gaulle aufzutreten. In seinen Augen gewann daher die Verhandlung gegen Argoud den Charakter eines Politikums par excellence. Er nahm ihn zum Anlaß, um der Regierung den Prozeß zu machen. Er wollte vor aller Welt demonstrieren, daß Frankreich im gegenwärtigen Stadium der Fünften Republik kein Rechtsstaat sei. Und dabei kam ihm die allseitige Empörung über den Münchner Menschenentführungsakt sehr gelegen.

Als wir ihn vor einiger Zeit in seiner Anwaltspraxis am Boulevard Raspail aufsuchten, um uns über seine politischen Absichten zu informieren, führte er bereits eine eindeutige politische Sprache. „Der Gaullismus ist vergänglich“, sagte Tixier-Vignancour zum Abschluß des Besuchs, „aber die deutschfranzösische Zukunft sollte nicht belastet werden. Alle Voraussetzungen einer Freundschaft zwischen den beiden Ländern waren bereits vor dem gaullistischen Vertrag gegeben. Es liegt bei der deutschen Regierung, sie für einen langen Zeitraum zu sichern durch einen Mit des Rechts und der nationalen Würde: Sie sollte das Auslieferungs-Degehren des Obersten Argoud mit allem Nachdruck in Paris vorbringen ...“

Ein ungünstiger Augenblick

Diese Worte wurden am Vorabend des ersten Besuchs des neuen Bundeskanzlers, Professor Erhard, gesprochen. Damals löste auch die parlamentarische Aktion, die in diesem Sinne im Bundestag erfolgte, eine gewisse Nervosität in Paris aus. Die Presse Frankreichs, die darüber berichtete, begnügte sich mit der Feststellung, daß Bonn angesichts anderer Krisenelemente im deutsch-französischen Verhältnis aller Wahrscheinlichkeit nach den Fall Argoud nicht auf die Spitze treiben werde, und in der politischen Wochenschrift „Aux Ecoutes“, die freilich wenig regierungsfreundlich ist, hieß es, Botschafter Klai-ber, der zu Außenminister Couve de Murville gebeten worden sei, sei eindeutig bedeutet worden, daß General de Gaulle auch die gesprächsweise Erwähnung der Ar-goud-Affäre ablehne. Der Quai d'Orsay — so behauptete das Blatt weiter — befürchtete, daß der General vielleicht einen Satz seinem Gast gegenüber wiederholen ^könne, der von seiner Umgebung mehrfach gehört worden sei: „Immerhin sollten die Deutschen nicht vergessen, daß der Friedensvertrag niemals unterzeichnet worden ist und daß die Alliierten weiterhin das Recht von Besatzungsmächten mit polizeilichen Vorrechten haben, die ein solcher Status mit sich bringt...“ Der erste Kontakt Erhard-de Gaulle ist bekanntlich in einem freundlichen Rahmen verlaufen, und die Brüsseler Einigung in letzter Stunde hat zur Beseitigung weiterer Spannungselemente geführt. Allein der Fall Argoud ist als sichtbares psychologisches Ärgernis zwischen Bonn und Paris verblieben, zumal er in einem denkbar ungeeigneten Augenblick das Problem der deutschen Souveränität erneut aufzuwerfen droht. Unabhängig von der Persönlichkeit des „verlorenen Offiziers“ Argoud und seiner Taten als fanatischer Widerstandschef erhebt sich die Frage, warum Frankreich einen in der Bundesrepublik begangenen Menschenraub verantworten will — mit allen daraus erwachsenden Folgen für sein moralisches und politisches Prestige.

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