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Frankreich ohne Bauern?

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Im öffentlichen Leben Frankreichs wird es kaum noch verborgen, daß man dem landwirtschaftlichen Berufsstand als zahlenmäßige Größe keine bedeutende Entwicklungsmöglichkeiten einräumt und daß man sich damit abgefunden hat, daß die Landbevölkerung, die noch vor wenigen Jahrzehnten als das Rück-

grat der Nation galt, zur langsamen Abwanderung verurteilt ist. Alle Debatten und Maßnahmen, die sich um Preisgestaltung und strukturelle Reformen drehen, erinnern letztlich an das, was im medizinischen Leben als „konservative Behandlung“ bezeichnet wird — wenn nämlich die Rettung eines Patienten ausgeschlossen scheint und es lediglich darum geht, die biologischen Verfallserscheinungen zeitlich ein wenig abzubremsen. Fachleute erklären es jedem, der es hören will, daß unter den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen nur ein Bruchteil der heute aktiven Landwirte genügen würde, bei rationellen Voraussetzungen die Ernährung des Landes zu sichern. Minister Pisani bezifferte diese Zahl mit 150.000.

Die ungewöhnlich starke politische Aktivität verschiedener Agrarorganisationen, die heute um die Einheit des Berufsstandes ringen, kann über diesen Tatbestand nicht hinwegtäuschen, und das kürzlich aufgekormmene Schlagwort eines Berufskongresses, „Frankreich mit den Bauern“, wirkt wie eine trotzige, aber unwirksame Auflehnung gegen diese amtlich quasi sanktionierte Erkenntnis. Nicht nur die technische Entwicklung, die zu einer bedeutenden Landflucht geführt hat, muß als Faktor der progressiven Schwächung des Bauernstandes angesehen werden, sondern auch seine politische Zerklüftung und ständig abnehmende Bedeutung im Parlament, das seinerseits seit Anbruch der Fünften Republik, das heißt seit 1958, zu einer Schattenrolle verurteilt ist.

Schlechte Prognosen für den Landwirtschaftsrat

Am 22. Jüni dieses Jahres wurde nach schwierigen, 18 Monate währenden Verhandlungen der französi-

sche Landwirtschaftsrat aus der Taufe gehoben, in dem sich der Bauernverband FNSEA (Federation Nationale des Syndicats d’Exploi- tants Agricoles), die Jungbauern CNJA (Centre Nationale des Jeunes Agriculteurs), die Confėdėration Nationale de la Mutualitė de la Cooperation et de Credit Agricole,

eine der Raiffeisengenossenschaft ähnelnde Organisation, und drei andere Berufsgruppierungen zusammengefunden haben, die mit der Ständigen Versammlung der Präsidenten der Landwirtschaftskammer Fühlung halten wollen. Der wesentlichste Programmpunkt dieser Konzentration ist die gemeinsame Aktion der Mitgliedsorganisationen. Rein theoretisch mag dieser Entschluß als Fortschritt gewertet werden, denn seit Beginn unseres Jahrhunderts wurde die Einheit der französischen Landwirtschaft nur sehr selten realisiert. Zahlreiche Aktionen in dieser Richtung scheiterten entweder im Stadium der Planung oder kurze Zeit nach der Verwirklichung.

Der neu gegründete Landwirtschaftsrat kann insofern kaum als eine wirkliche Zusammenfassung aller im Agrarsektor tätigen Elemente angesehen werden, da die landwirtschaftlichen Arbeitnehmergewerkschaften nicht Mitglied der neuen Sammlung sind. Das ganze Unternehmen wirkt wie eine im letzten Stadium überstürzte Improvisation, wie eine Reaktion auf die Tatsache, daß es seit einiger Zeit unverkennbar im Gebälk des landwirtschaftlichen Syndikalismus knackte und sich eine ständig wachsende Opposition der Mitglieder des Bauernverbandes gegen bestimmende Einflüsse einiger Führerpersönlichkeiten, insbesondere des jungen Vorkämpfers Michel Debatisse, nicht mehr verbergen ließ. Der Landwirtschaftsrat entstand nach diskreten Verhandlungen unter Ausschluß der Öffentlichkeit, und als man schließlich seine Gründung bekanntgab, verzichteten seine Promotoren bezeichnenderweise darauf, die Presse einzuladen — offensichtlich aus Furcht vor unbequemen Fragen. Das ist gewiß kein gutes Omen für seine Zukunft.

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