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Als der Advokat Jean-Louis Tixier-Vignancour mit betonter Nonchalance die Bühne betrat, wurde er mit rauschendem Beifall begrüßt, wie ihn die ganz illustren Schauspieler quasi als Vorschuß auf die bevorstehende Leistung zu empfangen gewohnt sind. Er zeigte sich liebenswürdig und wohlwollend, und sein überraschender Verzicht auf rhetorische Effekte und starkes Geschützfeuer, mit dem er Richter und Staatsanwälte einzuschüchtern- pflegt, betonte-seine Souveränität lat Politiker ujid“ Anwärter auf die höchste Stellung im Staate.

Keinen Augenblick ließ der Kandidat der Nationalen Opposition auf die Präsidentschaft der Republik — so lautet der Titel, den er sich selbst gegeben hat — den Eindruck aufkommen, daß er sich dessen bewußt sei, auf einem verlorenen Posten zu kämpfen, wohl wissend, wo seine Feinde und Gegner stehen, doch ohne klare Vorstellung, aus welchen Kreisen ihm die notwendige Masse der Freunde zuströmen soll, die ihm erlauben könnte, die Stellung des Generals zu gefährden oder auch nur seinen Konkurrenten auf der Linken, Gaston Defferre, auszustechen. Vielleicht glaubt er ernsthaft, daß ihm die Länge des Wahlkampfs und seine Überzeugungskraft ermöglichen könnten, eine Änderung der heute bestehenden Konstellationen herbeizuführen.

Ein Teil der französischen Presse hat Tixier-Vignancour als einen Anarchisten der Rechten bezeichnet. Diese Charakterisierung erscheint uns in mancher Hinsicht einseitig: Denn mag er auch in der neueren Justizgeschichte Frankreichs lange als Mann unvergessen bleiben, der den Kopf des OAS-Generals Salan rettete, beim Barrikadenprozeß den Aktivisten Oberst Gardes verteidigte, dem Leutnant Degeldre und dem Obersten Bastien-Thiry zur Hinrichtungsstätte folgte und sich mit aller Energie für die Rückführung des aus München entführten Obersten Argoud nach der Bundesrepublik einsetzte — als Politiker steht er, wie er bei der Pressekonferenz ausdrücklich versicherte, auf dem Boden der Verfassung der Fünften Republik, die „mehr respektiert als reformiert“ werden müsse. Er fügte hinzu: „Die Funktion des Präsidenten ist in normalen Zeiten die eines Schiedsrichters und in Perioden der Gefahr die einer kontrollierten Autorität. Der Inhalt der Verfassung entspricht durchaus den Grundsätzen der Republik. Ich erkläre mich damit einverstanden.“ Gerade deshalb sei er Gegner eines der vollen Entscheidungsfreiheit des Präsidenten 'vorbeTlalllnen H;es%r-vats, in der der Staatschef nicht als Chef, sondern als unbeschränkter Herr wirke.

In dieser Distanzierung zu gaullistischen Praktiken läßt sich kaum ein Unterschied zwischen Tixier-Vignancour und Defferre feststellen. Man wird auch andere Parallelen finden, soweit es beiden Präsidentschaftskandidaten darum geht, im kritisch-negativen Sinne gegen den General aufzutreten. Trotzdem gibt es eine Reihe fundamentaler Unterschiede, die es nicht erlauben, den Antigaullisten der Rechten und den der Linken auf eine Stufe zu stellen. Der Hauptunterschied liegt in völlig anders gelagerten Charakter der beiden Persönlichkeiten. Defferre zeigt sich als politischer Taktiker weit mehr zu Kompromissen und vom Opportunismus bestimmten Wegen geneigt. Deshalb dürfte er sein Programm bewußt etwas verschwommen halten, damit es notfalls veränderten Situationen angepaßt werden kann. Sein Schlagwort vom „Horizont 80“ ist im Grunde weitgehend auf Flexibilität abgestellt, es nimmt Rücksicht auf parteipolitische Evolutionen.Tixier-Vignan-cour ist demgegenüber als Individualist, als Persönlichkeit so stark ausgeprägt, daß er als Exponent einer Partei, deren Disziplin er sich fügen würde, einfach undenkbar erscheint. Sein Programm wirkt prägnanter, verbindlicher und konstruktiver als die bewußt in die Zukunft transponierten Vorstellungen des Marseiller Bürgermeisters, der die Wahlkampfperiode als dialektisches Experimentierstadium betrachtet.

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