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Paris - Moskau: nur ein Flirt?

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„Die amerikanische Diplomatie gegenüber Frankreich hätte gegenwärtig ein leichtes Spiel, wenn sie mehr psychologische Geschicklichkeit zeigen würde“, sagte uns in diesen Tagen ein ehemaliges Regierungsmitglied gelegentlich eines Ge-■prächs über den jüngsten Flirt de Gaulles mit dem Kreml. Und der Minister fuhr fort: „Da das A und O der gaullistischen Außenpolitik die Durchkreuzung der Wünsche und •Zielsetzungen Washingtons darstellt, hätte Präsident Johnson nur den Anschein zu erwecken brauchen, daß das Weiße Haus eine Verständigung zwischen Paris und Moskau begrüßen würde, um diesen Dialog zu verhindern ...“

Nun, das war natürlich eine etwas kühne Hypothese, aber sie kennzeichnet recht plastisch das ganze Ausmaß der gefühlsbedingten Verkrampfung, in der ich die vom Ely-see dirigierte Außenpolitik bereits seit mehreren Jahren befindet: Sie ist im äußersten Fall bereit, sogar mit dem Kreml in ein intimes Gespräch einzutreten, wenn es ihr nicht möglich ist, auf anderen Wegen die Einflußnahme der USA auf dem europäischen Kontinent, die sich mit dem französischen Führungsanspruch nicht vereidbaren läßt, wirksam zu bekämpfen und eines Tages völlig zu beenden. Manche Bonner Beobachter haben die Entwicklung des sowjetisch-französischen Verhältnisses in der Periode der progressiven Abkühlung zwischen der Bundesrepublik und dem Ely-see — man muß dies schon so präzisieren, um den Irrtum auszuschließen, daß sich Frankreich von Deutschland entfernt habe — mit einiger Besorgnis verfolgt. Wenn sie aber in Paris in diesem Sinne vorstellig wurden, beeilte sich der Quai d'Orsay ihre Bedenken zu zerstreuen. Ein gleichwie geartetes französisches Übereinkommen mit den Sowjets wurde vom amtlichen Frankreich als unmöglich bezeichnet. Ja, selbst Gegner der gaullistischen Außenpolitik — wie etwa Paul Reynaud —, die in der Allergie des Generals gegenüber den Vereinigten Staaten ein Unglück für Europa erblicken, hielten deutsche Befürchtungen bezüglich eines Dialogs Paris— Moskau für „irreal“ und „chimae-risch“. Der ehemalige Ministerpräsident erklärte uns Ende November wörtlich: „Der General hat mehrfach festgestellt, daß man nicht mit Leuten verhandeln könne, die einen bedrohen. Diese Einstellung gegenüber dem Kommunismus hat sich nicht geändert.“

Heute müssen diejenigen, die guten Glaubens die möglichen Auswirkungen des antiamerikanischen Komplexes des Generals unterschätzt hatten und gewisse Grenzen für unüberschreitbar hielten, ihren Irrtum zugeben. Für die sachliche und moralische Bewertung der überraschenden Neuorientierung ist es dabei eine zweitrangige Frage, ob die sich nun vollziehende Annäherung Frankreichs an den Kreml in einem Pakt gipfeln wird, der Westeuropa in ein atlantisches und ein auf den Osten ausgerichtetes Lager teilen könnte, oder ob in den Augen de Gaulles das Abenteuer lediglich dazu bestimmt sein soll, politischen und psychologischen Druck auf die Verbündeten Frankreichs auszuüben, um sie den französischen Wünschen auf diese ungewöhnliche Weise gefügiger zu machen.

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