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Der Sprung in der Achse

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Man hat in der französischen Presse seit Pfingsten oft von einer ganzen Serie deutsch-französischer Differenzen gesprochen. Einige Boulevardblätter versuchten sogar durch einige Beispiele zu belegen, daß man von einer wahren Krise der Partnerschaft sprechen könne. Bei diesen Auslassungen klangen oft antigaullistische Töne mit: Der Mann auf der Straße sollte davon überzeugt werden, daß die vom General gestartete Versöhnungs- und Freundschaftsinitiative schon nach wenigen Monaten, im Augenblick der praktischen Bewährung, alle Anzeichen eines.

Das offizielle Frankreich upd die beiden parlamentarischen Gremien ließen sich nicht zu Polemiken hinreißen. In Gesprächen mit Diplomaten und Vertretern des öffentlichen Lebens wurden die Objekte der Presseangriffe — Deutschlands mangelnde Konzessionsbereitschaft in der Frage der Agrarpreise in Brüssel, die Ablehnung Bonns, den französischen Panzer AMX zu kaufen, obwohl dadurch die Serienproduktion dieses Kampfmittels in Frage gestellt wurde, die Entscheidung der jungen deutschen Gewerkschafter gegen ein Europa der Vaterländer, das de Gaulle vorschwebt, die Angst der Deutschen, auch das geringste zu unternehmen, was der auf Amerika ausgerichteten Marschrichtung widersprechen könnte — als „Peripetien” bezeichnet, die man nicht dramatisieren sollte. Schließlich brachte auch die Kammer- und Senatsdebatte, die der Ratifizierung des deutschfranzösischen Vertrages voTanging — trotz vielfach leidenschaftlicher Kritik an der gesamten Außenpolitik des Generals — weder direkte Spitzen gegen die Bundesrepublik, noch wurde der Gedanke der Aussöhnung der beiden Nachbarvölker, mit Ausnahme der weisungsgemäßen Obstruktion von kommunistischer Seite, auch nur einen Augenblick in Frage gestellt.

Dreiklang der Stimmungen

Die Deutschland-Reise des amerikanischen Präsidenten Kennedy brachte jedoch unüberhörbare Mißtöne in die französische Öffentlichkeit, die sich in einer weiten Skala zwischen der Spiegelung verletzter Eitelkeit und massiven Warnungen an die deutsche Adresse bewegten.

Man machte Kennedys Triumphzug durch Deutschland am Vorabend des Besuchs de Gaulles in Bonn zum entscheidenden Prüfstein des deutschfranzösischen Verhältnisses. Noch, so versicherte man am Quai d’Orsay und die vielen Gesprächspartner, die wir nach ihrer Meinung fragten, liege kein ernsthafter Schatten über dem Freundschaftsvertrag, aber der Staatspräsident empfinde doch in letzter Zeit manche Bedenken und auch Befürchtungen, deren Zerstreuung ohne eine klare Option deT Bundesregierung für eine enge europäische Zusammenarbeit mit Frankreich kaum vorstellbar sei. Nach dem in, Bonn beschlossenen und in Washington verkündeten vorläufigen Verzicht der Bundesregierung auf die von Washington angeregte multilaterale atomare Integration, sind die Aussichten auf einen deutsch-französischen Kompromiß gewachsen.

Harter oder weicher Kurs?

Einige Tage vor dem Abflug des französischen Staatspräsidenten nach der Bundesrepublik zeichneten sich in Paris zwei Tendenzen ab, die fraglos heftige Diskussionen hinter den Kulissen reflektieren. Es ging im wesentlichen um die Taktik de Gaulles bei seinen Verhandlungen in Bonn. Um die Frage, ob gegenüber der Bundesrepublik ein harter oder ein weicher Kurs angezeigt sei, um sie vom amerikanischen Kurs — soweit er den französischen Wünschen und Zielsetzungen widerspricht — abzubringen. Das französische Außenministerium ist sich dessen bewußt, daß eine alternativ gestellte Forderung an den Bundeskanzler, sich entweder für Paris oder Washington zu entscheiden, auf einen entschiedenen deutschen Widerstand stoßen werde, da niemand die Tatsache in Frage stellen könne, daß für eine Periode von zehn bis fünfzehn Jahren die Sicherheit der Bundesrepublik von den Vereinigten Staaten abhängt und kein Land in der Lage ist, dafür auch nur ein annäherndes Äquivalent zu bieten. Dies führt zu einer verstärkt kritischen Haltung eines in seiner Breite beachtlichen diplomatischen Sektors gegen die Forcierung des unter französischem Einfluß stehenden und von den USA unabhängigen Kontinentaleuropas durch den General.

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