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Kein Weg zurück

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Sechs Wochen nach der „Bombe“ In Brüssel beginnen sich die Fronten zu klären: Den Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen im Zusammenhang mit dem Eklat des 30. Juni und der fieberhaften Suche nach Alternativlösungen und Ersatzorientierungen macht eine nüchternere Betrachtungsweise Platz, die sich mit den Hintergründen der Europakrise zu befassen beginnt.

Man fühlt in Paris, daß Bonn seinerseits einen „Eklat“ vermeiden will, um die Chancen für ein „Goldenes, nachgaullistisches Zeitalter“ nicht zu verschütten, wobei man sich jenseits des Rheins im stillen, Wunschträumen aufgeschlossen, auf die optimistischen Perspektiven verläßt, die von einem Teil der franzö-sichen Opposition, die ihre Karte auf die Wiederbelebung der westeuropäischen und atlantischen Union setzt, an die Wand gemalt werden.

Im Grunde sind aber alle diese Hoffnungen und Überlegungen ziemlich irreal, denn es gibt wenige Anhaltspunkte dafür, daß mit dem Abtreten de Gaulies von der politischen Bühne automatisch eine Rückkehr zu den Europakonzeptionen der Jahre zwischen 1950 und 1960 verbunden wäre. Auch nach Ablösung der Gaullistenpartei durch einen Linksblock würde Frankreich — mit und ohne Kommunisten — eine völlig andere europäische Politik betreiben, als man in Bonn und in den anderen Hauptstädten der EWG wünscht. Frankreichs politische Linke hat in den langen Jahren der Opposition kein eigenes außenpolitisches Konzept zu entwickeln gewußt und hat bei aller Kritik an der Sprunghaftigkeit der omnipotenten Elysee-Diplomatie in der großen Linie des Generals zumeist ihre eigenen Wünsche bestätigt gefunden. Insofern unterschied sie sich kaum von der UNR: Wie die Regierungspartei spendete sie der

Haltung de Gaulles zum Vietnamkrieg, der Annäherung der Pariser Diplomatie an den Kreml und der Algerienpolitik des Quai d'Orsay Beifall. Nicht weniger positiv bewertet sie den Widerstand des Staatschefs gegen die amerikanischen Einflüsse in Frankreich und Europa “nd die sichtbare Normalisierung des Verhältnisses zu den Ostblockländern. Im übrigen weiß sie, daß de Gaulle — was auch von ihm und seinen parlamentarischen UNR-Satelli-ten aus Gründen der außenpolitischen Opportunität gesagt werden mag — die deutsche Wiedervereinigung nicht will, weil sie Frankreichs Stellung in unserem Erdteil in seiner Vorstellung weiter herabmindern muß. Und auch dieses uneingestan-dene Prinzip findet die Billigung der Mehrheit in der Nationalversammlung — sowohl bei den Gaullisten als auch bei den meisten Vertretern der Linken.

Sozialistische „Gaullisten“

Wenn man die Wahlversammlungen der Sozialisten besucht, wird man sich nach Gesprächen mit dem Durchschnittsbürger sehr schnell bewußt, daß die „antieuropäische“ Einstellung des Generals, soweit sie mit der Hypothek des deutschen Einheitsstrebens und der Rolle der Bundesrepublik Deutschland als „Trojanisches Pferd der USA“ ex-plicite oder unplicite begründet wird, letztlich die Billigung durch den Mann auf der Straße findet. Denn der Durchschnittsfranzose — mag er nun zu den verschworenen Gaullisten rechnen oder dem General aus ideologischen Traditionserwägungen, die innenpolitisch bestimmt sind, kritisch oder gar ablehnend gegenüberstehen — bleibt im Grunde seines Herzens ein Patriot, dem die Devise “right or wrong my country“ nicht minder als Hauptmaxime gilt als den Sozialisten Großbritanniens.

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