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Um Frankreichs Zukunft

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Wir haben in unserer letzten Betrachtung aus Paris auf den Zickzack-Kurs der gaullistischen Außenpolitik hingewiesen und dabei den ' In der französischen Hauptstadt herrschenden Eindruck erwähnt, daß es dem General seit etwa sechs Monaten an Sicherheit und Bewegungsfreiheit gefehlt habe. Das Rätselraten um dieses Phänomen fand durch die überraschende Nachrieht über die Prostataoperation des 73jährigen Staatspräsidenten einen gewissen Abschluß: Es waren offenbar physische Gründe, die in der letzten Periode eine klare Orientierung vermissen ließen. Wenn sich auch im Bereich der inneren Politik die Unsicherheit weniger manifestierte, so konnte sie doch auch von treuen Anhängern des Generals nicht immer überzeugend in Abrede gestellt werden. Jedenfalls ist das Schlagwort von der „gaullistischen Defensive“ nicht erst nach der in Form und Inhalt schwachen Fernsehrede — die in erster Linie der Abwehr der sich häufenden Kritiken an der Wirtschafts- und Ent-wicklunigspolitik der Regierung diente — aufgekommen. Es hat bereits seit Wochen die politischen Gegner zur verstärkten Aktivität ermuntert und den offiziellen wie auch den potentiellen, noch im Hintergrund wirkenden Gegenkandidaten auf den Sitz im Elysee Mut und Auftrieb gegeben. Die Rekonvaleszenz des Staatspräsidenten, die erfreuliche Fortschritte macht, gibt ihm in diesem strittigen Sektor eine gewisse Ruhepause — erst nach der Sommerpause werden die Probleme in ihrer ganzen Schwere und Komplexität an ihn und sein Kabinett herantreten. Doch die von selbstverständlicher Pietät bestimmte „Schonzeit“ wird den Verlauf des Wahlkampfes kaum in seinem Sinn zu bestimmen vermögen.

Der sozialistische Bürgermeister von Marseille, Gaston Defferre,hat bereits zu Beginn des Februar die Blößen, die sich der Staatschef gab, aus der aktuellen Situation heraus geschickt zu nutzen verstanden. Dieser „konjunkturelle“ Vorteil und der zeitliche Vorsprung geben ihm gegenüber den sich neu manifestierenden Konkurrenten augenblicklich die Stellung eines primus inter pares. Defferres Kandidatur, hinter der ein nicht unbeträchtlicher Teil der an sich stark gespaltenen französischen Linken steht, gewinnt in dem Maß an Bedeutung, wie die bisher als sicher geltende Bewerbung de Gaulles um ein neues Septennat nunmehr aus „unpolitischen“ Gründen mit einem Fragezeichen versehen erscheint.

Freilich ist hier das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die Tatsache, daß General de Gaulle den zeitlich nicht drängenden chirurgischen Eingriff an sich vollziehen ließ, ohne das Ende des gegenwärtiges Septennat abzuwarten, dürfte ein Hinweis dafür sein, daß er nach wie vor entschlossen ist, erneut zu kandidieren und sich für den Wahlkampf die unerläßlichen gesundheitlichen Voraussetzungen zu schaffen.

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