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De Gaulles Reiseabenteuer

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Man fragt sich, ob der französische Staatschef zur spektakulären Bestätigung seiner politischen Stellung im Innern und nach außen tat sächlich des südamerikanischen Abenteuers bedurft hätte, vor dem ihn viele seiner Freunde rechtzeitig gewarnt hatten. Hatte er wirklich geglaubt, auf diese bunte, aber gefährliche Pilgerfahrt nicht verzichten zu können, um seinen Feldzug gegen die „Hegemonien“ augenfällig zu demonstrieren und aus dem Jubel der Massen jener oft von Eintagsfliegen beherrschten Staaten internationales Kapital für den Slogan der „dritten Kraft“ in der Welt zu schlagen, deren Führung er Frankreich Vorbehalten möchte? Oder waren es in erster Linie Wahlerwägungen, der Blick auf das neue Septenat, die ihn bestimmten, seine Unwiderstehlichkeit in der Welt den französischen Massen vorzuführen?

Wie dem auch sei — bei kritischen und politisch unvoreingenommenen Beobachtern löst de Gaulles problematischer Triumphzug durch Südamerika verständnisloses Kopf schütteln aus: Es wird nicht leicht sein, diese Aktion — ihre letzte Phase steht im Augenblick der Niederschrift dieser Zeilen noch aus — eindeutig als einen Erfolg des französischen Staatschefs in der Reisebilanz zu verbuchen. Es steht nämlich außer Frage, daß den grundsätzlichen Gegnern des Generals in Europa durch die südamerikanischen Ereignisse im Zusammenhang mit der großen Propagandareise willkommener Auftrieb gegeben wird. Kein Kulturabkommen, keine noch so großzügige Zusage der Entwicklungshilfe werden die peinlichen Zwischenfälle in Argentinien verwischen können, zumal sie nicht als „unvorhergesehene Panne“ gewertet werden können, sondern genau vorausgesehen und vorausgesagt wurden.

„Universitätsferien“….

Gewiß, es gab viel Jubel und viel Folklore auf dem Weg des französischen Staatspräsidenten, und die in La Paz, Caracas und Bogota auftauchenden Plakate mit der Inschrift „US go home“ gaben die Staffage zur beabsichtigten Tendenz. Aber man kann auch gegenüber der Tatsache, daß die Universitäten in Venezuela, Kolumbien, Peru, Chile und Argentinien vorsorglich von Studenten gesäubert werden mußten, um regierungsfeindlichen Demonstrationen vorzubeugen, die Augen nicht verschließen.

De Gaulle hat es sich aus naheliegenden Erwägungen nicht nehmen lassen, trotz des herrschenden Ausnahmezustandes nach Bolivien zu kommen, das seine Unabhängigkeit gegenüber den USA durch den Besuch des Marschalls Tito manifestierte, obwohl das Land — wie „Le Monde“ mitleidsvoll beklagt — wegen der herrschenden Inflation „gezwungen war, die Finanzhilfe der Vereinigten Staaten anzunehmen“. Aber er konnte anderseits nicht verhindern, daß er in Argentinien von Peronisten für innenpolitische Zwecke mißbraucht wurde. Ja, die Opposition erhob ihn hier quasi zum „gelehrigen Schüler“ des gestürzten Diktators, der in Spanien der Stunde seiner triumphalen Rückkehr entgegenharrt.

Heulen und Zähneknirschen

Als der Bürgermeister von Buenos Aires den französischen Gast in einer Rede begrüßte, wurde er von einer heulenden und pfeifenden Menge unterbrochen, und in Cordoba regneten peronistische Flugschriften über den General hinab; ein Fenster seines Wagens wurde durch einen Stein zertrümmert (der fraglos nicht ihm zugedacht war); Wasserwerfer wurden in Stellung gebracht, Tränengas eingesetzt, Journalisten mit Bajonetten und Pistolen bedroht und Hunde auf die Menge gehetzt. Es waren Tote und Verletzte zu beklagen.

Zum erstenmal stellten Berichterstatter deutliche Anzeichen der Unsicherheit bei de Gaulle fest, der sich sonst nicht leicht aus der Ruhe bringen läßt. Auch der kordiale Abschied zwischen dem französischen Gast und der argentinischen Regierung wird diese Episode nicht der Vergessenheit anheimfallen lassen. Sie wird schwer in der Bilanz wiegen und Washington den Vorwand liefern, de Gaulle als Störenfried auf dem amerikanischen Kontinent anzuprangern.

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