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Eine Achse Moskau-Paris?

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Frankreich hat den Sowjets — seit der Anerkennung der UdSSR durch Edouard Herriot im Jahre 1925 — nie recht getraut, und der Gedanke einer Rückkehr zur traditionellen Allianz blieb im Laufe der Jahrzehnte einigen Einzelgängern des Qual d'Orsay vorbehalten. Sogar der zweite Weltkrieg hat diesen Zustand kaum zu ändern vermocht, zumal er mit einem demonstrativen Verrat an den westlichen Demokratien begann. In den 40 Jahren der diplomatischen Beziehungen zwischen Paris und dem Kreml ist Außenminister Couve de Murville erst> der vierte Chef des Quai d'Orsay, der sowjetischen Boden betreten hat; und unter ihnen ist er wiederum der erste Vertreter der von den Kommunisten so wenig geschätzten großbürgerlichen Klasse.

Seine Vorgänger, die in den vorausgegangenen vier Jahrzehnten den Weg nach Moskau genommen haben, vermochten hauptsächlich durch ihre Herkunft aus kleinen Verhältnissen eine freundliche Aufnahme seitens der Kremlgewaltigen zu finden; Pierre Laval kam vom Sozialismus her, Georges Bidault war christlicher Demokrat, und der Gewerkschafter Christian Pineau, der 1956 in Begleitung Guy Mollets in der Zentrale des Weltkommunismus alte Fäden wieder anzuknüpfen suchte, wurde von Chruschtschow als „sozialistischer Genosse“ gefeiert. Mit dem sozialistischen Regime wurde auch die französisch-sowjetische Freundschaft für längere Zeit ad acta gelegt. Selbst den intensiven Bemühungen des Pariser Sowjetbotschafters Winogradow vermochte es nicht zu gelingen, der alten russisch-französischen Partnerschaft neues Leben einzuhauchen.

Lange Zeit vermochten die Sowjets mit der gaullistischen Formel eines Europa, das „vom Atlantik bis zum Ural“ reichen sollte, nichts Rechtes anzufangen. Sie mußte in ihrer Sicht so lange ein leeres Schlagwort bleiben, wie sie sich in ihren kühnsten Träumen einen radikalen Umsturz des westlichen Allianzsystems nicht vorstellen konnten. Als die Polarität zwischen den beiden Machtblöcken — etwa um die fünfziger Jahre — ihren Höhepunkt erreichte, schien Paris keineswegs die Neigung zu verspüren, der Moskauer Attraktivität zu verfallen; und auch die Fünfte Republik betonte in den ersten Jahren ihres Bestehens unmißverständlich ihre ideologische Bindung an die westliche Welt. Ihre deklamatorischen Emanzipationsbestrebungen gegenüber der amerikanischen Hegemonie konnten vielleicht auf lange Sicht die Hypothese eines Zerfalls des politisch recht labilen westlichen Blocks am Horizont auftauchen lassen, aber in naher Zukunft erwartete der Kreml keine nennenswerte Änderung der bestehenden Machtkonstellation: In vollem Bewußtsein der militärischen und politischen Schwäche Frankreichs belächelte er, nicht einmal wohlwollend, den westeuropäischen Führungsanspruch des Generals de Gaulle. Ein gewisses Wohlwollen kam erst auf, als sich das deutsch-französische Verhältnis nach einer Freundschaftsepisode, der die Sowjets von Anfang an eine kurze Lebensdauer vorausgesagt hatten, zuspitzte und sich unter der Decke zu einem Kampf um die Vorherrschaft im westlichen Teil des Kontinents zu entwickeln begann.

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