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Die alten Propheten Europas

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Der vierte und letzte Band der „Erinnerungen“ des verstorbenen Bundeskanzlers Konrad Adenauer kommt soeben auf den Büchermarkt. Der Band ist fragmentarisch geblieben. Er enthält aber die Wiedergabe von Aufzeichnungen, die Adenauer seinerzeit unmittelbar nach den Ereignissen angefertigt hat. Die Wiedergabe der Gespräche, insbesondere mit dem französischen Staatschef de Gaulle, ist von erregender Aktualität. Adenauer erwies sich mit seinen mehr als achtzig Jahren in diesen Gesprächen als ein Staatsmann von erstaunlich moderner Denkweise. Im Jahr 1961 sagte er dem General, was dem Gedanken der Integration Anfang der fünfziger Jahre, zu deren Vätern der frühere Bundeskanzler zählte, angemessen gewesen sei, das werde den Erfordernissen der sechziger und siebziger Jahre nicht mehr entsprechen.

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Der vierte und letzte Band der „Erinnerungen“ des verstorbenen Bundeskanzlers Konrad Adenauer kommt soeben auf den Büchermarkt. Der Band ist fragmentarisch geblieben. Er enthält aber die Wiedergabe von Aufzeichnungen, die Adenauer seinerzeit unmittelbar nach den Ereignissen angefertigt hat. Die Wiedergabe der Gespräche, insbesondere mit dem französischen Staatschef de Gaulle, ist von erregender Aktualität. Adenauer erwies sich mit seinen mehr als achtzig Jahren in diesen Gesprächen als ein Staatsmann von erstaunlich moderner Denkweise. Im Jahr 1961 sagte er dem General, was dem Gedanken der Integration Anfang der fünfziger Jahre, zu deren Vätern der frühere Bundeskanzler zählte, angemessen gewesen sei, das werde den Erfordernissen der sechziger und siebziger Jahre nicht mehr entsprechen.

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Im Frühjahr 1961 gab Adenauer dem General zu bedenken: „Wenn de Gaulle meine, die Tradition sei in der heutigen Zeit oft von besonderer Stärke und Wichtigkeit, so irre er. Denn die junge Generation in allen Ländern habe kein Gefühl mehr für Tradition und deren Wert.“

Soweit Adenauer in seinen „Erinnerungen“. Adenauer glaubte auch die Lösung dieser Probleme zu kennen. Er sagte zu de Gaulle, die Völker Europas müßten in eine materielle Lage versetzt werden und überhaupt ihre eigene Lebensart für wertvoll halten, dann würden sie in Zukunft auch bereit sein, Europa gegen den Kommunismus zu verteidigen.

Wörtlich sagte Adenauer nach seinen Aufzeichnungen zu dem General: „Wir Deutsche wüßten, was es für den einzelnen bedeute, unter dem Kommunismus zu leben. Die Franzosen wüßten das nicht, ebensowenig die Italiener.“ Deshalb empfahl Adenauer dem französischen Staatschef, „in Frankreich ein soziales Leben zu schaffen, das auch der jungen Generation dieses Leben sinnvoll und wertvoll mache“.

Besonders ernst waren die Unterredungen Adenauers mit de Gaulle, wenn die Rede auf die NATO kam. Schon gegen Ende 1959 gab de Gaulle zu erkennen, daß er mit der NATO-Organisation unzufrieden sei. Das wiederholte der General im Sommer 1960. Die NATO-Organisation, so de Gaulle, mache Frankreich und Europa von Amerika abhängig, und die NATO sei nichts anderes als eine Filiale Amerikas. Adenauer verhehlte nicht, daß er die Sorgen de Gaulies teilte, Adenauers Blickwinkel war aber ein ganz anderer. Er hielt das Verhalten de Gaulies gegenüber der NATO für grundfalsch. Wenn de Gaulle eine Reform der NATO rigoros betreibe, wie er das beabsichtige, dann, so betonte Adenauer, werde Chruschtschow wohl in seiner Hoffnung bestärkt, daß der Westen auseinanderfalle, und auch den isolationistischen Strömungen in den USA werde dann Auftrieb gegeben.

Es ist hochinteressant, welche Gedanken de Gaalle schon Ende der fünfziger Jahre und zu Anfang der sechziger Jahre gegenüber Adenauer über die NATO äußerte. Von besonderem Gewicht ist dabei, daß de Gaulle bereits damals Probleme erkannte, die der breiten Öffentlichkeit Europas erst in den letzten Jahren ins Bewußtsein getreten sind. So lenkte de Gaulle schon Ende 1959 die Aufmerksamkeit Adenauers auf die Lage im Mittelmeer. Der Teil des Mittelmeeres, an dem Frankreich und Italien liegen, gehöre nicht zum NATO-Bereich, und das sei für ihn der Grund, weshalb er die französische Flotte dem NATO-Komplex entzogen habe.

Gegenüber den Vereinigten Staaten äußerten sowohl de Gaulle wie Adenauer Anfang der sechziger Jahre ernste Sorgen. Im Mai 1960 kamen der amerikanische Präsident Eisenhower, der britische Premier MacMillan, de Gaulle und Adenauer zu einer Besprechung in Paris zusammen. Eisenhower entwickelte dabei Gedankengänge, die Adenauer befürchten ließen, der amerikanische Präsident denke an ein Nachgeben gegenüber Moskau. Eisenhower ließ zwar seine Überlegungen fallen, als er Widerstand verspürte, aber Adenauer notierte über die Unterredung: „Der Gesamteindruck war deprimierend und befestigte mich 'in meinem Entschluß, die Bande mit Frankreich, wie de Gaulle das vorgeschlagen hatte, noch enger zu knüpfen.“

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