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Geschmack am Geheimnis
Professor Alfred Grosser, der als Wissenschaftler und Publizist generell auf der politischen Linie des Generals zu liegen pflegt, versuchte in diesen Tagen dieses Phänomen zu klären. Er erinnerte daran, daß de Gaulle den Geschmack am Geheimnis in seinem Buch „Fil de l'epee“ wie folgt beschrieben und begründet habe: „Das Prestige kann sich nicht ohne das Geheimnis manifestieren ... Deshalb muß in den Planungen, im Verhalten, in den Bewegungen des Geistes ein Element haften bleiben, das die anderen nicht erfassen können und das sie deshalb beunruhigt, sie erregt, sie in Atem hält... der Glaube der Massen besorgt den Rest...“
Grosser räumt in seinem Kommentar ein, daß kollektive Entscheidungen fraglos die Demokratie schwächten. Es sei nicht sicher, schreibt er, daß Präsident Johnson in Fragen des Krieges in Vietnam weniger Geheimhaltung und Bewegungsfreiheit für sich in Anspruch nehme, als General de Gaulle dies für Algerien getan habe. Nur die Geheimhaltung und der Verzicht auf Konsultationen haben die Laneierung des Schuman-Plans ermöglicht. Doch in der Praxis gebe es Situationen, in denen dieser Grundsatz nicht vertretbar sei. Der Widerspruch bei de Gaulle liege darin, daß er einerseits für Frankreich fordere, die Rolle des „freien Schiedsrichters“ zu spielen, und anderseits ausrufe: „Welche Rolle könnte Europa spielen, wenn es sich, vereinigen wollte!“ Die Vereinigung verpflichtet in einer permanenten Form und begrenze die „freie Bestimmung“.
Noch ist die innenpolitische Lage Frankreichs unübersichtlich, und es fällt dem Beobachter nach wie vor schwer, bei den Wahlen einen Gegner für de Gaulle zu sehen, der ihn faktisch schlagen könnte. Man weiß aber anderseits, daß eine etwaige Kandidatur des „Sicherheitssymbols“ Antoine Pinay vermutlich eine Stichwahl unerläßlich machen würde. Dies aber glaubt sich der General aus reinen Prestigeerwägungen nicht leisten zu können. Man ist deshalb in Frankreich überzeugt, daß er gegen Pinay nicht kandidieren und den Premierminister Pompidou als gaullistischen Kandidaten benennen werde. In diesem Falle hätte aber Pinay bedeutende Erfolgschancen. Aus dem Nebel der Unsicherheiten treten die Umrisse zweier Konzeptionen, die von zwei Männern über 70 Jahren vertreten werden: Der integrale Nationalist de Gaulle und der Europäer Pinay.
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