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Noch kein „Komitee der Weisen“

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Und was Europa angeht, so soll de Gaulle zwar gegenüber den jüngsten Vorschlägen Bonns und Roms, wie auch den Gedanken Paul-Henri Spaaks einiges Interesse entgegengebracht haben, er sei jedoch nicht bereit gewesen, der Schaffung einer ständigen Einrichtung, der man in voreiliger Planung bereits den Namen „Komitee der Weisen“ gegeben hat, seine Zustimmung zu geben. Nach wie vor — dies wird nach dem Treffen Erhards mit de Gaulle besonders hervorgehoben — trete der Staatschef für die unveränderte Erhaltung der vollen Souveränität der einzelnen Staaten ein.

Alles in allem: Mit einigem Abstand zu Rambouillet gibt es keime Anzeichen dafür, daß der französische Staatschef sich von seiner „europäischen Monroe-Doktrin“ entfernt hätte. Sie lautet: ein politisch, wirtschaftlich und militärisch von Amerika unabhängiges Europa — unter französischer Führung. Der Führungsanspruch wird zwar nicht laoit formuliert, wird jedoch aus jeder positiven oder negativen Erklärung des Generals deutlich. Er gesteht der Bundesrepublik zwar großmütig das Recht zu, an der Ausarbeitung der gemeinsamen Strategie mitzuwirken, weist jedoch jede deutsche Bemühung sich allmählich in den Besitz von Nuklearwaffen zu bringen entschieden zurück, weil

dies — wie er geschickt und nicht ohne Logik argumentiert — mit der Realisierung des deutschen Wiedervereinigungsanliegens schlecht zu vereinbaren sei. Auch die von de Gaulle gewünschte Gruppierung der europäischen Industrien, die „der EWG würdig sein“ müßten und der amerikanischen Konkurrenz wirksam widerstehen könnten, hat mit Integration nicht zu tun.

Man ist versucht, anzunehmen, daß Erhard seinen noch vor wenigen Monaten gezeigten Widerstand gegen den französischen Führungsanspruch in Rambouillet zurückgestellt hat. Und zwar aus rein psychologischen Erwägungen: Auch de Gaulle bedarf der deutschen Unterstützung für seinen eigenen Wahlkampf. Persönlichkeiten, die empirisch und impulsiv handeln, be-'dürfeh episodenhaft “einer geschickten diplomatischen Behandlung mit Zielsetzungen auf jeweils kurze Sicht. Die Mehrheit Deutschlands wünscht nicht allein die politische Integration, sondern glaubt auch an ihre Verwirklichung, wenn man auch mit dieser Realität erst nach dem Abtreten de Gaulles von der politischen Bühne rechnen kann. Dies geben in den letzten Monaten selbst einige prominente Anhänger de Gaulles zu erkennen.

Die Episode von Rambouillet diente aber vornehmlich den deutschen und französischen Wahlen. Einen historischen Wendepunkt darf in ihr niemand erblicken.

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