Ein illusionsloser großer Konservativer

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Kaum ein anderer Hochschullehrer hat die Geschichtsschreibung der Bundesrepublik Deutschland so geprägt wie Hans-Peter Schwarz. Nun liegen die Memoiren des im Vorjahr verstorbenen Politikwissenschaftlers, Zeithistorikers und Publizisten vor. Eine Empfehlung.

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Kaum ein anderer Hochschullehrer hat die Geschichtsschreibung der Bundesrepublik Deutschland so geprägt wie Hans-Peter Schwarz. Nun liegen die Memoiren des im Vorjahr verstorbenen Politikwissenschaftlers, Zeithistorikers und Publizisten vor. Eine Empfehlung.

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Seine Bücher über Ernst Jünger, Konrad Adenauer, Axel Springer und Helmut Kohl sind nicht nur wissenschaftliche Standardwerke, sondern auch reiner Lesegenuss. Langweilen wollte und konnte der deutsche Politikwissenschafter Hans-Peter Schwarz nie. Seine Erinnerungen tragen den Titel "Von Adenauer zu Merkel". Vom Gründungskanzler, unter dem es mit der Bundesrepublik Deutschland immer nur bergauf ging, hat er aber wesentlich mehr gehalten als von der jetzigen Kanzlerin, die den tiefen Zukunftspessimismus - was das eigene Land angeht -des politischen Professors noch verstärkt haben dürfte.

In seinem Geleitwort stellt der Herausgeber Hanns Jürgen Küsters fest, dass kein anderer Hochschullehrer die Geschichtsschreibung der Bundesrepublik Deutschland so geprägt habe wie Schwarz. Selbst linke Kritiker des Liberal-Konservativen dürften dies kaum bestreiten. Schwarz ist plötzlich und unerwartet im Sommer 2017 verstorben. Bis zum Lebensende war er auf eine geradezu erschreckende Art und Weise produktiv. Schreibkrisen und seelische Erschütterungen scheint er nicht gekannt zu haben. 15-bis 16-Stunden-Tage waren die Regel, auch am Wochenende.

"Selbstbespiegelung à la Jean-Jacques Rousseau ist nie mein Ding gewesen", schreibt Schwarz zu Beginn. In der Tat: Voyeure, die darauf hoffen, innere Dramen ausgebreitet zu sehen, werden enttäuscht sein. Es fällt auf, dass der Ton seiner Aufzeichnungen zusehends pessimistischer wird. Pessimistisch war er nicht im Privaten. Hier ging es meist ums Schaffen. Die beiden Kinder sind offenkundig wohlgeraten und haben ihren Weg gemacht. Pessimistisch ist Schwarz aber am Ende seines Lebens mit Blick auf Deutschland gewesen, das er vom Verfall gezeichnet sah. Die Willkommenskultur im Rahmen der Flüchtlingskrise hat der völlige illusionslose Konservative als großes Unglück angesehen. Interessen waren ihm stets wichtiger als Werte.

Vorbehalte gegen Kirchentage

Für den in Lörrach geborenen Autor war das christlich-protestantische Milieu, in dem er aufwuchs, prägend. Während er mit seinem Vater noch am Evangelischen Kirchentag in Stuttgart im Jahr 1950 teilnahm, hegte er später große Vorbehalte gegen solche Massenveranstaltungen. Die Evangelischen Kirchentage seien immer mehr zu Instrumenten verkommen, "die sich hervorragend zur Massenmanipulation und zur mentalen Programmierung junger Leute eignen". Schwarz denkt hier insbesondere an die pazifistischen und ökologischen Botschaften, die dort gleichsam von der Kanzel herab verkündet wurden.

Bereits mit 23 Jahren wurde er über das Werk Ernst Jüngers promoviert. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte der Bundesrepublik, die gewichtige zweibändige Adenauer-Biographie und zahlreiche Zeitungs-und Zeitschriftenartikel folgten. Noch im "Ruhestand" hat er dicke Wälzer über Axel Springer und Helmut Kohl vorgelegt. Zwischendurch, wie zur Entspannung, erschienen flott geschriebene Streitschriften wie "Die gezähmten Deutschen. Von der Machtversessenheit zur Machtvergessenheit". Das Gesicht des 20. Jahrhunderts hat Schwarz anhand der prägenden Personen gezeichnet, die er "Monster, Retter und Mediokritäten" nannte. Mit dem Schmöker "Phantastische Wirklichkeit" hat er seiner jahrzehntelangen Vorliebe für politische Thriller Ausdruck verliehen. Anders als manche Literaturwissenschaftler war er sich nicht zu fein zur Lektüre dieser Krimis. Und er stellte heraus, dass sich auch in den Werken von Eric Ambler, Frederick Forsyth, Robert Ludlum, Graham Greene, Clive Cussler und anderen das 20. Jahrhundert spiegelte.

Wenn das Buch bei Adenauer politisch quasi anfängt (den Verbrecher Hitler wollte der Autor nicht im Titel aufgeführt sehen) und bei Merkel endet, dann ist folgender Satz sicher auch an die Adresse der Kanzlerin gerichtet: "Die widerstandslose Kapitulation vor der Einwanderung ist ein viel kritischeres Phänomen, weil die Residuen christlicher Barmherzigkeit im Widerspruch zur praktischen Vernunft stehen. Jedenfalls finden die deutschen Bürger und Arbeiter, die nach einer nüchternen Politik der Selbstbehauptung verlangen, keine respektablen Organisationen mehr, die das eigentlich Selbstverständliche verhindern. Unser Land ist auch in dieser Hinsicht auf dem besten Weg sich aufzugeben, und die EU-Integration gibt dafür eine schönklingende Entschuldigung ab."

| Der Autor ist Fraktionsgeschäftsführer der CDU im Rat der Stadt Remscheid und arbeitet als freier Publizist in Bonn |

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