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„Sorgensommer“ der CDU

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Nicht alles, was in diesen Tagen über die CDU und ihre Führungskrise geredet und geschrieben wird, kann man als bare Münze nehmen. In den Lagern der anderen Parteien, insbesondere bei der SPD, reibt man sich natürlich erfreut die Hände. Von dort wird alles hervorgekehrt, was den Eindruck vertiefen soll, die CDU

gleiche einem Schiff, das steuerlos dahintreibe.

Mit Vorliebe wird in diesem Zusammenhang die Aera Adenauer beschworen. Plötzlich gilt Adenauer auch denen als der unübertreffliche Staatsmann, die ihn während seiner Amtszeit unentwegt mit ihrer Kritik verfolgt haben. Sie schreiben die Geschichte jener Zeit neu, nach dem Rezept, das George Orwell in „1984“ aufgestellt hat.

Hauptgegenstand aller Veröffentlichungen und Reden ist natürlich der Bundeskanzler. Hatte Adenauer nicht recht, als er Erhard vom Palais Schaumburg fernhalten wollte, weil Erhard zu Wenig politischen Instinkt und zu wenig Führungskraft besitze? Man kann diese Frage allerorten hören, auch in Kreisen, die Erhard Wohlwollen. Diese Frage stößt mitten hinein in ein allgemeines Unbehagen, das nachgerade den Charakter eines trophischen Geschwürs anzunehmen droht.

Das Unbehagen hat viele Wurzeln

Der Ursachen dieses Unbehagens sind viele. Nicht für alle ist Erhard verantwortlich. Er hat das Amt des Bundeskanzlers zu einem Zeitpunkt übernommen, da die Bonner Politik Ihren Höhepunkt überschritten hatte. Die glanzvollen Zeiten, in denen die amerikanische Regierung ln der deutschen Frage nichts ohne den Bundeskanzler tat, waren von dem Winde verweht, der die weltpolitische Lage an allen Ecken und Enden verändert hatte. Am Horizont der Wirtschaft zeigten sich die ersten dunkeln Wolken, Vorboten jener Krisenerscheinungen, die nun immer bedrohlicher heraufziehen und für die noch niemand ein Patentrezept gefunden hat.

In solcher Situation erwartet der Mann auf der Straße eine Regierung, die führt, deren Chef auch einmal mit der Faust auf den Tisch schlägt und gegen alle Widerstände die Maßnahmen durchsetzt, die er für erforderlich hält. Solche Maßnahmen mögen dann zuerst als spartanisch erscheinen und vielen Unwillen her- vorrufen, aber sie werden sich behaupten, wenn sie sich als richtig erweisen. Indessen besteht in der Bundesrepublik, wohin man kommen mag, an vielen Stellen das Gefühl, daß in Bonn ein derartiger Geist und Wille nicht am Werk seien.

In Bonn hingegen, wo es manchen Balkon gibt, von dem aus in die

Arbeitszimmer der Bundesregierung und auch des Bundeskanzlers hineingeblickt werden kann, ist das Unbehagen mit jenen Interessen- und Positionskämpfen vermengt, die ein unabweisbarer Bestandteil aller Politik sind. Nachrichten und Informationen in diesem Umkreis müssen immer erst daraufhin geprüft werden, von wem sie kommen, was sie bezwiecken und wieviel dann noch an Tatsächlichem übrig bleibt.

In diesem Nachrichtendickicht wird die Umgebung des Bundeskanzlers — voran Dr. Westrick und Dr. Homann — für (len als unzulänglich bezeichneten Stil der Regierungspolitik verantwortlich gemacht. Hier werden Nachrichten in Umlauf gesetzt, wonach Erhards Gesundheit angeschlagen sei. Hier werden Informationen aller Art herumgeboten, der Bundeskanzler sei in Kabinettssitzungen weniger Vorsitzender als Zuhörer, er weiche Entscheidungen aus, er verlege sich mehr aufs doktrinäre Reden als aufs Handeln, er habe, kurz und schlecht, die Zügel der Regierung nicht in der Hand.

Die alte Wahllokomotive auf dem Abstellgleis?

Hinzu kommt die Herausstreichung der Mißerfolge, die der Bundeskanzler in letzter Zeit bei öffentlichem Auftreten davongetragen hat: ein, zwei verunglückte Wahlversammlungen im Ruhrgebiet und einige Auftritte im Fernsehen. Und hieran wird rasch die Frage geknüpft, ob Erhard überhaupt noch die Ausstrahlung habe, die von den Antennen der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung mit Verständnis und Sympathie empfangen werde. Im brutalen Jargon, der in der politischen Welt nicht selten ist, wird dies dann auf die Formel gebracht, die Wahllokomotive Erhards ziehe nicht mehr — und von da ist es nur noch ein Schritt bis zu dem Gedanken, dann müsse er eben auf ein Abstellgleis geschoben werden. Dabei wird auch das Amt des Bundespräsidenten genannt, das Erhard indessen bereits rundheraus abgelehnt hat.

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