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LUDWIG ERHARD / DEUTSCHE GEGENWART

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„Ich bin kein Pfarrer“, sagte der deutsche Wirtschaftsminister Ludwig Erhard noch vor ein paar Jahren mit deutlicher Abwehrbewegung, als man ihn bat, angesichts der hektischen Sprunghaftigkeit des deutschen Wirtschaftsaufstieges in den ersten „Wunderjähren“ ein paar belehrend-moralische Worte über die sittlichen Schädigungen allzu üppigen Konsums von sich zu geben, Im Gegenteil: Der vitale Protestant aus Bayern, dessen gesundfarbenes, vollrotes Gesicht mit der unvermeidlichen Wohlstandszigarre

zum Symbol einer beherrschenden Mentalität wurde, prägte sogar das kühne, aber wohlüberlegte Wort vom „Mut zum Konsum“. Die unter den Intellektuellen nicht eben seltenen Gegner der derzeitigen Bundesregierung sahen damals in ihm die Verkörperung der Protzen- und Neureichenmentalität jenes „Wirtschaftswunders“, an dem für ihre eigene Person zu partizipieren sie allerdings in der Regel nicht verschmähten. Vor zwei Jahren änderte sich das Bild. Nach der damals überraschenden, heute wieder fast ganz vergessenen Ankündigung Adenauers, sich auf dem ehrenvollen Weg über die Präsidentschaft aus dem unmittelbaren politischen Tageskampf zurückzuziehen, stand unter den Kandidaten für die Nachfolge Erhard in vorderster Linie. Den heute Vierundsechzigjährigen prädestinierte zwar keine praktische Erfahrung in der politischen Normalkarriere. Aber jedem Einsichtigen war klar, daß die lange Reihe wirtschaftlicher Maßnahmen, die er — seit Adenauers Regierungsantritt 1949 fast durchweg zweiter Mann im Kabinett — wohlüberlegt und auch vor kühnen Wendungen nicht zurückschreckend, gesetzt hatte, nur einem Mann möglich gewesen sein konnte, der neben professoralem Grundwissen auch über jenen Sensus politicus verfügt, der die Wirkung solcher Schritte gesellschaftlich und massenpsychologisch abzuschätzen vermag. Als man vollends erfuhr, daß der so ganz anders geartete Adenauer — „gotisch“ und „barock“ nannte dieser vor ein paar Wochen die beiden

Typen — den ihm wesenmäßig näher stehenden asketisch-nüchternen Brüning-Typus des Finanzministers Etzel als Nachfolger bevorzugte, sammelte sich das bunte Heer der Adenauer-Kritiker „faut de mieux“ um den zum Oppositionstribunen allerdings kaum geeigneten „Vater des Wirtschaftswunders“. Der Beifall falscher und fragwürdiger Freunde, die den bei aller Agilität grundsatztreuen Freiheitlichen zum konjunkturritter- haften Mann der profitablen Osthandelspläne umzudeuten unternahmen, erregte das Mißtrauen Adenauers. Er änderte ruckartig seine Pläne, eine deutliche, auch auf das Menschliche ausgedehnte Entfremdung zwischen den beiden Männern blieb über Jahr und Tag bestehen. Erst in den letzten Monaten, die überhaupt im Zeichen einer allgemeinen Konzentration der Regierungskräfte in Deutschland standen, näherten sich die beiden wieder. Sie erkannten, daß manche künstlich aufgebauschten Gegensätze nichts anderes als Unterschiede in der Akzentuierung bedeuteten. Es scheint, daß Adenauer, dem freilich verfassungsmäßig kein Recht auf die Nachfolgebestimmung zusteht, sich mit Erhard als dereinstigem Kanzler nicht nur abgefunden, sondern wirklich ausgesöhnt hat. Auch die hier und da aufflackernden und dann immer wieder sensationell aufgebauschten Gegensätze zwischen dem der freien, nur durch überlegte Sozialmaßnahmen gezügelten Wirtschaft zugeschworenen Erhard und seinem schon vom Typ her antipodischen Partner.

Professor Hallstein, dem bürokratischen Planer von der EWG- Behörde Brüssel, sind heute mehr Tatsachen- als Grundsatzprobleme geworden, Erhard ist Pragmatiker genug, um sich nicht an Worte und Formeln — nicht einmal an seine eigenen — zu klammern. Er vermeint heute auch nicht mehr, daß die Verkündigung ethischer Grundsätze in der Wirtschaft ausschließlich Sache des Pfarrers sei. Er hat sich gerade in den letzten Jahren mit einigen sehr ernsten und mahnenden Worten über Sparsamkeit und Konsumdisposition an seine Deutschen gewendet, die verblüfft einen „anderen Erhard“ zu hören vermeinten. Aber er ruht so fest und lebenskräftig in sich selbst, daß er sich ohne Gesichtsverlust jene Wandlungsfähigkeit, jenes Bereitsein für das Gebot der Stunde leisten kann, die Deutschland sowohl auf seinem Weg nach Europa wie auch bei der eigenen Bewahrung im nächsten Jahrzehnt dringend brauchen wird.

Besonders „informierte“ Alleswisser sprechen von Erhard als einem „Ubergangskanzler“, der zur Beruhigung der um die Stabilität bangenden Wählermassen nach einem Ausscheiden Adenauers die Fortdduer des Bestehenden symbolisieren, dann aber einer schon bereitstehenden dynamischen Persönlichkeit Platz machen soll. Wenn man Leben und Arbeit Erhards aber näher kennt, dann muß man solche Theorien bezweifeln. Er mag kein politischer Bulle sein. Eine auswechselbare Schachfigur ist er aber gewiß auch nicht.

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