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Das deutsche Drama

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In unverminderter Heftigkeit sind in zwanzigstUndiger Redeschlacht Im Bonner Bundestag Regierung nnd Opposition aufeinander gestoßen. In der Debatte um den deutschen Wehrbeitrag wurde mehr sichtbar als die Härte und der Starrs’inn einer politischen Partei und der taktische Sieg ihrer triumphierenden Gegner: hier wurde ein Warnzeidien aufgericfctef. Die oft und gerade von wohlwollendsten Freunden der deutschen Regierung beklagte Kluft zwischen dieser und dem Volke, entstanden durch ein „Regieren von oben“ etwa im Sinne des aufgeklärten Absolutismus, muß geschlossen werden; in der geduldigen Arbeit einer aufgeschlossenen, die Aussprache nidit scheuenden Innenpolitik. Es hatte schon etwas Tragisches an sich: der der Presse und Publizistik genau sp wie der Öffentlichen Debatte abholde Kanzler sah si h nun im Bundestag genötigt, um sein Gesetz durchzubringen (und damit seine Regierung zu halten), Geheimprotokolle zu veröffentlichen, die bei einer regulären Zusammenarbeit zwischen Regierung und Öffentlichkeit In Notzeiten niemals den Weg an die Öffentlichkeit gefunden hätten. Ist an diesem Debakel nur die Härte der Opposition schuld? Jedes Drama hat mehrere Mitspieler; sie kennenzulernen, will der folaende Aufsatz helfen.

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In unverminderter Heftigkeit sind in zwanzigstUndiger Redeschlacht Im Bonner Bundestag Regierung nnd Opposition aufeinander gestoßen. In der Debatte um den deutschen Wehrbeitrag wurde mehr sichtbar als die Härte und der Starrs’inn einer politischen Partei und der taktische Sieg ihrer triumphierenden Gegner: hier wurde ein Warnzeidien aufgericfctef. Die oft und gerade von wohlwollendsten Freunden der deutschen Regierung beklagte Kluft zwischen dieser und dem Volke, entstanden durch ein „Regieren von oben“ etwa im Sinne des aufgeklärten Absolutismus, muß geschlossen werden; in der geduldigen Arbeit einer aufgeschlossenen, die Aussprache nidit scheuenden Innenpolitik. Es hatte schon etwas Tragisches an sich: der der Presse und Publizistik genau sp wie der Öffentlichen Debatte abholde Kanzler sah si h nun im Bundestag genötigt, um sein Gesetz durchzubringen (und damit seine Regierung zu halten), Geheimprotokolle zu veröffentlichen, die bei einer regulären Zusammenarbeit zwischen Regierung und Öffentlichkeit In Notzeiten niemals den Weg an die Öffentlichkeit gefunden hätten. Ist an diesem Debakel nur die Härte der Opposition schuld? Jedes Drama hat mehrere Mitspieler; sie kennenzulernen, will der folaende Aufsatz helfen.

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Querelles allemandesl Das Wort von den „Querelles allemandes“, den „deutschen Quengeleien“, stammt aus dem Mund eines europäischen Politikers aus der Schule Richelieus, der bestimmt ehrlich überzeugt war, ein guter Europäer zu sein. Von ferne wird man an den französischen Staatsmann gemahnt, der sich den Kardinalspurpur um die Schultern legte, weil er ihn damals als unumgängliches Requisit für seine konstruktiven Pläne brauchte. Niemand will so boshaft sein und dem deutschen Kanzler dasselbe anraten … Im Zeitalter Mindszentys ist die rote Robe gewichtiger und drückender geworden als damals. Aber dieses Wort könnte aus dem Munde Adenauers stammen. .Querei-j les allemandes“, .Dummköpfe oder Verräter“. So hat es der Kanzler auf einer Rede in Reichenhall ins gut Bayrische übersetzt. .Phantasten oder Selbstmörder“, diese Heinemann und Niemöller, Helene Wessel und Professor Noack, Wirth, und wie sie alle heißen mögenl Es sind die Nachfahren der ewig streitenden, ewig nörgelnden und mit tausend geistigen Gerümpelfrachten beladenen Professoren der Frankfurter Paulskirche. Sie können nicht in großen Räumen, in großen Bahnen denken und stolpern über die eigenen Füßel Wir haben mit einigen von diesen Menschen gesprochen und trauen uns zu, keinem getarnten Sowjetpropagandisten, der sich wie ein Chamäleon übernational oder urchristlich drapiert, auf den Leim gegangen zu sein. Was diesen Menschen, bei aller Verschiedenheit des weltanschaulichen Herkommens gemeinsam ist, stellt nichts anderes dar als das gesunde Miß’ trauen gegen jede rationalistisch-lineare Lösung des deutschen Problems. Man hat in diesen Kreisen, deren Intelligenz teils den Stempel eines wachen protestantischen Gewissens, teils den eines unversehrt gebliebenen liberalen Denkens ‘ trägt, die Meinung, daß bei der Patentlösung der Realpolitiker eine gewichtige Reihe von Fragen nicht gelöst, sondern einfach abgedrängt worden ist, die jetzt jenes unterbewußte Unbehagen erzeugt, von dem die Psychologie seit Siegmund Freud weiß. Zu diesen Fragen gehören aber nicht nur diffizile Gewissensprobleme, sondern auch Realitäten, unter andjerem die Existenz von achtzehn Millionen Deutschen in der Sowjetzone, unter anderem Dresden, Breslau, Weimar und nicht zuletzt: Berlin.

Die Sozialdemokraten haben dieses Argument gerade in den letzten Tagen vor der Schuman-Plan-Verhandlung immer wieder in der krassen, harten Sprache des Parted jargons ins Treffen geführt und sind… der Lösung nicht nähergekommen. Sie sind sich, eingestanden oder uneingestanden, dieses Widerspruchs bewußt geworden, als es um das entscheidende „Ja“ oder „Nein“ ging, vor das sie die geschickte Fragestellung Adenauers gezwungen hatte. Der Dialektiker Schumacher hat das Dilemma klug gespürt. Er hat sich in den letzten Dezembertagen mit Adenauer zu einem Gespräch getroffen.. Der entscheidenden Schlußsitzung des Bundestages ist er fern geblieben. .Wir haben nicht aufeinander geschossen“, erklärte er, süßsauer lächelnd, den neugierigen Presseleuten nach seinem Treffen mit dem .Alten“. Carlo Schmidt, der geistvoll-schillernde Zweite der alten Bebel-Partei, hat vielleicht noch mehr Gespür für die Ebene, auf der die eigentliche Auseinandersetzung um Deutschlands Gesicht und Existenz ausgedrückt wird, als sein autokratischer Führer Schumacher, dessen marxistische Dialektik zuweilen nicht anders anmutet als der ketzerische Kontrapunkt zu den im selben Denkgehäuse ausgerechneten Thesen der deutschen Sowjets. Was die deutschen Sozialdemokraten wollen, ist die Quadratur des Kreises. Sie, die sich der extremsten Realpolitik, dem ökonomischen Materialismus, heute wie einst verschworen haben, bekämpfen die Realpolitik Adenauers, indem sie die Unwägbarkeit der deutschen Einheit ins Treffen führen. Die Antwort kann nicht s.chwer fallen. Auf dieser Ebene hat Adenauer recht. Wirtschaftspolitisch wie machtpolitisch gesehen, ist der Sdiuman- Plan, dem der Pleven-Plan, wenn auch modifiziert, folgen muß wie das Amen im Gebet, der einzige vernünftige Weg für Deutschland und Europa.

Aber: Damit ist nur die rein taktisch operierende sozialdemokratische Opposition, die während der Parlamentsdebatte sogar mehrmals mit widerwilliger Verbeugung das gesamteuropäische Konzept Adenauers anerkennen mußte, geschlagen. Nicht aber die Querelles allemandes, eben jenes unterbewußte, halbbewußte, in ganz wenigen Menschen auch seines Herkommens bewußte Unbehagen jener Menschen, die auf der Waage der Adenauer, Erhardt, Blank und Lehr leicht oder gar nicht wiegen, aber doch da sind. Im Zwielicht eben… jenseits des Grabens.

Die Parole „Ohne mich — ohne uns“, ist zu primitiv, um noch entscheidende Anziehungskraft auszuüben. Wohl aber sind es andere Fragen, die neben der nach dem Schicksal der deutschen Ostzone, zu der die Trennungslinie trotz aller schönen Sätze des Schuman-Ver- trages in der Welt der praktischen Politik eben doch schier verewigt erscheint, diese Menschen beschäftigen. Und hier steht nicht zuletzt.

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