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Die Reaktion war aggressiv

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Mit einiger Unruhe sah die Fraktion der für Mittwoch, den 7. November, anberaumten Fragestunde des Bundestages entgegen, in der 18, inzwischen von der SPD dazu formulierte Fragen vorlagen. Die ganze Wucht der Fragen traf Bundesinnenminister Höcherl, der auch für den inzwischen erkrankten Justizminister Stammberger einspringen mußte. Seine Antworten waren aggressiv und unklar. Trotzdem wäre die Debatte wahrscheinlich ohne Krawallszenen geblieben, hätte nicht Bundeskanzler Doktor Adenauer nach Beendigung der Fragestunde, eine Zusammenfassung des SPD-Abgeordneten Ritzel aufgreifend, noch einmal das Wort genommen. Offenbar unbefriedigt vom Verlauf der Fragestunde und verärgert über den Widerstand in der eigenen Fraktion, zeigte er sich zur Überraschung seiner eigenen Partei ungewöhnlich aggressiv. In einer genialen Vereinfachungsmethode versuchte er die Dinge so durcheinander zu bringen, daß ein* wirkliche' Debatte unmöglich wurde. Eine Nebenabsicht, die mit“ jedem Wort deutlicher wurde, bestand für ihn auch darin, die SPD zu unbedachten, die Situation verschärfenden Äusserungen zu reizen. Damit wollte der Kanzler offensichtlich den alten Graben zwischen der CDU/CSU und der SPD wieder aufreißen und so den Strömungen innerhalb der CDU entgegenwirken, die einer großen Koalition das Wort reden. Vital, wie in alten Zeiten, meldete er sich beinahe nach jeder Äußerung eines SPD-Abgeordneten zu Wort und verschärfte durch unsachliche Unterstellungen die Diskussion. Unbekümmert darum, daß die Bundesanwaltschaft ihre Ermittlungen wegen des Verdachtes von Landesverrat gegen Augstein führt, nahm Adenauer das Urteil vorweg-und erklärte, Augstein habe „systematisch Landesverrat getrieben, um Geld zu verdienen.“ Schließlich bagatellisierte er die rechtswidrige Verhaftung des Journalisten Ahlers in Spanien, auf der nach dem deutschen Strafgesetzbuch Zuchthaus steht, als eine Kleinigkeit.

Aber Adenauer hatte den Bogen offensichtlich auch für seine eigene Partei überspannt.

Nicht nur die SPD und FDP wiesen Adenauer seiner Attacken wegen zurecht. Auch bei der CDU herrschte ausgesprochenes Unbehagen.

Versuchte Brückenschläge

Am dritten Tag der Fragestunde, die am Montag fortgesetzt wurde, zeigte sich die SPD auffallend bemüht. Provokationen und Lärmszenen zu verhindern, um den von Adenauer offenbar gewünschten Graben zwischen CDU/CSU und SPD nicht zu groß werden zu lassen. Der Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Mommer, ging mehrfach durch die Reihen der SPD-Abgeordneten und ermahnte sie zur Ruhe und Besonnenheit. Auch von Seiten der CDU waren Bemühungen zu bemerken, den peinlichen Eindruck vom Mittwoch zu entkräften. So rief Bundesinnenminister Schröder den deutschen Botschafter in Madrid zur Klärung eines Vorfalls nach Bonn, in den sich einzumischen Dr. Adenauer am Vortag im Bundestag für überflüssig erklärt hatte. Als Adenauer am Freitag in die Debatte eingreifen wollte, wies ihn Bundestagspräsident Gerstenmaier mit aller Energie zurecht, er möge sich, „um zu vermeiden, daß die Fragestunde auffliegt, genau an den zur Debatte stehenden Gegenstand, das von SPD-Abgeordneten zur Sprache gebrachte unberechtigte Abhören von Telephongesprächen, halten. Zum Erstaunen aller Anwesenden erklärte Adenauer, daß auch seine Gespräche in letzter Zeit abgehört würden.

Insgesamt gesehen hat die Debatte den bestehenden Verdacht nicht entkräften können, daß die Übergriffe bei dem Vorgehen gegen den „Spiegel“ auf das Konto des Bundesverteidigungsministeriums gehen, das mit Zustimmung Dr. Adenauers die FDP aus dem Spiel hielt und mit Staatssekretären arbeitete. Das Fallenlassen von Hopf und Strauß kann sich daher bei dem Ansehen, das beide genießen, noch als gefährlicher Ausweg erweisen. Manche Übergriffe bei der Aktion gegen den „Spiegel“, die anfangs der Bundesregierung zur Last gelegt wurden, gehen offensichtlich auf das Versagen örtlicher Polizeiorgane zurück, die eine erschreckende Bereitschaft zu polizeistaatlichen Übergriffen zeigten.

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