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„Spielball“ Außenpolitik

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Würde man eine Zunahme außenpolitischer Erklärungen für ein Anzeichen außenpolitischer Aktivität halten, so könnte man glauben, die Bundesrepublik Deutschland stehe vor einer Wende in ihren Beziehungen zur Umwelt. Die Besprechungen

am Tegernsee zwischen dem Bundeskanzler, Bundesaußenminister Schröder und dem Vorsitzenden der CSU, Franz Joseph Strauß, über außenpolitische Fragen sowie aufsehenerregende Reden des Bundesverkehrsministers Christoph See-bohm und des Vorsitzenden der SPD, Willy Brandt, täuschen eine Aktivität vor, die nur den verwirren wird, 4er den politischen Stil in Westdeutschland nicht näher kennt. Es war schon immer so, daß Sonntagsreden deutscher Politiker nur selten von politischem Tiefgang gekennzeichnet waren. Zu Adenauers Zeiten war nur die Außenpolitik von diesem Rummel weitgehend ausgespart, weil bekannt war, daß sich der Altbundeskanzler eine Einmischung in dieses Ressort energisch verbat. Unter Ludwig Erhard scheint es in beunruhigender Weise zum Tummelplatz mehr oder weniger ernst gemeinter Reden zu werden. Das schließt nicht aus, daß sich dahinter mitunter nicht auch ernsthafte außenpolitische Gegensätze verbergen können. Was Erstaunen hervorruft, ist lediglich die Form der „Diskussion“.

Es ist seit langem bekannt, daß zwischen dem ehemaligen Bundesverteidigungsminister und CSU-Vorsitzenden Franz Joseph Strauß und dem Bundesaußenminister Gerhard Schröder ein starker persönlicher, aber auch ein sachlicher Gegensatz besteht. Der persönliche stammt aus dem Spätherbst 1962, als sich der kühl abweisende Gerhard Schröder als erster von den Eskapaden seines damaligen Ministerkollegen Strauß im „Spieger-Skandal distanzierte. Der sachliche Gehalt ist bei dem alles persönlich nehmenden Franz Joseph Strauß schon etwas schwieriger klarzulegen. Es scheint, daß sich der ehemalige Bundesverteidigungsminister In seinem von Winkelzügen, überraschenden Erklärungen und politischen Eskapaden reichen Bemühen um ein Comeback plötzlich auf die Außenpolitik geworfen hat, indem er sich zum Vertreter einer national gefärbten, an Adenauer orientierten Außenpolitik macht. Der Zweck dieser neuen Eskapade ist es offenbar, die über Schröders Außenpolitik in Unruhe geratenen Anhänger der CDU/CSU unter der Fahne Strauß' zu versammeln.

Startschuß des „Bayernkurier“

Die Attacke begann durch einige von obskuren Autoren in der von Strauß herausgegebenen Zeitung .Der Bayernkurier“ erschienenen Artikel gegen Schröder und seine Außenpolitik. Dabei spielte der

Vorsitzende der CSU, je nach Lage, den übergangenen, nicht orientierten Herausgeber oder den bauern-schlauen Angreifer, der den Eindruck erweckte, als würde mit Schröder ein bereits weidwund geschossenes Wild gejagt. Gerhard

Schröder rächte sich, indem er den von ihm geleiteten evangelischen Arbeitskreis der CDU zu einer Tagung nach München einlud und dort in einer ebenso klaren wie imponierenden Rede sein außenpolitisches Konzept einer auf vorsichtige Kontakte mit den Ostblockstaaten und einer vorsichtig auf neue Ideen in der Deutschlandpolitik abgestellten Außenpolitik vertrat. Dem anwesenden Rivalen Strauß, dem also die Leviten gelesen wurden, fiel die Selbstbeherrschung schwer. t

Es dauerte auch nicht lange, da antwortete der „Bayernkurier“. Unbekümmert um die Landtagswahl in Württemberg-Baden erfolgte Attacke auf Attacke, bis schließlich auch dem phlegmatischen Bundeskanzler das Schweigen schwerfiel, der, wenigstens nach dem Wortlaut der Verfassung, den Kurs der Politik bestimmt. Erhard entschloß sich, die beiden Kontrahenten zu sich für den

19. und 20. Mai an den Tegernsee zu einem außenpolitischen Gespräch einzuladen.

„Friedensrichter“ Erhard

In seiner Hoffnung, den Streit beenden zu können, sah sich Erhard freilich enttäuscht. Es ging Strauß dabei ja nicht um ein sachliches Gespräch, sondern um die erstrebte Aufwertung seiner Person. Zunächst mußte Strauß eine Niederlage einstecken. In dem Bestreben, sich für seine außenpolitischen Thesen der Autorität des Altbundeskanzlers Adenauer zu versichern, protestierte er laut, daß Adenauer nicht zu den Tegernseer Gesprächen eingeladen worden sei. Adenauer zeigte aber keine Lust, sich vor den Karren des ehrgeizigen CSU-Vorsitzenden spannen zu lassen. So mußte Strauß seine Thesen in Tegernsee allein vertreten. Sehr überzeugend scheint das nicht ausgefallen zu sein, denn in der Schlußerklärung stellte sich Er-

hard voll und ganz hinter seinen Außenminister.

Erhard beging aber den Fehler, zu behaupten, es gäbe zwischen Strauß und Schröder keinen sachlichen Gegensatz. Wenn dieser Satz auch wahrscheinlich in einem höheren Sinn richtig ist, so hat ihn Strauß doch sogleich desavouiert. In dem Vollgefühl seiner neu erworbenen Kompetenz in außenpolitischen Fragen führte Strauß wenige Tage nach den Gesprächen in Tegernsee seine Attacken auf Schröder fort. Nun fielen diese allerdings mehr denn je auf Erhard zurück, der allein durch die Tatsache, daß er mit Strauß über außenpolitische Fragen konferiert hatte, den ehemaligen Bundesverteidigungsminister aufwerten half. Die Erklärung von Mende, die FDP werde im kommenden Wahlkampf „eine Partei der Gegner des CSU-Vorsitzenden Strauß sein“, kam daher nicht von ungefähr. Das Tegernseer Gespräch bestätigte schließlich nur die Ansicht Eingeweihter, es sei das beste, auf die Eskapaden des CSU-Vorsitzenden nicht weiter einzugehen und ihn auf diese Weise langsam „auszutrocknen“.

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