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Wahlkämpfe seit 1945

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Wahlkampf 1979: Eine Schönheitskonkurrenz der Blumen und der Köpfe und der Leerformeln. Hier wird ein Rückblick auf frühere Wahlkämpfe der Zweiten Republik gezeigt.

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Wahlkampf 1979: Eine Schönheitskonkurrenz der Blumen und der Köpfe und der Leerformeln. Hier wird ein Rückblick auf frühere Wahlkämpfe der Zweiten Republik gezeigt.

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Wäre der Wahlkampf nur eine Show, so wäre der Wahlkampf des Jahres 1979, der elfte Nationalratswahlkampf in der Geschichte der Zweiten Republik, soweit er sich auf den Plakatwänden abspielt, wohl auch der langweiligste. Der alte Vergleich mit der Waschmittelwerbung lag noch nie so nahe. Denn auf dem kommerziellen Sektor wird für kaum eine Art von Produkten so unoriginell, so langweilig, so arm an sachlichen Aussagen geworben wie für Waschmittel. Aber die unterscheiden sich ja auch, im Gegensatz zu den politischen Parteien, kaum voneinander.

Müssen Wahlkämpfe so sein?

Ein Wahlkampf in der Gegenwart ist ein guter Anlaß, sich mit früheren Wahlkämpfen zu beschäftigen. In Österreich können wir aus solcher Beschäftigung sogar eine Lehre ziehen. Nämlich die, daß Wahlkampfmethoden, wie sie hierzulande zwei Nachkriegsjahrzehnte lang üblich waren, zwar ein reizvolles zeitgeschichtliches Thema darstellen, aber einer Partei, die zu diesen Methoden zurückkehren wollte, nichts Gutes brächten. Und wohl auch nicht dem Land.

Die frühen Wahlkämpfe der Zweiten Republik waren alles andere als Modenschauen der Leerformeln. Da überschlagen sich die bizarren Einfälle, da vollführt die Phantasie der Werbefachleute in den Parteihauptquartieren alle paar Jahre Purzelbäume, da wimmelt es nur so von roten Katzen und schwarzen Rentenklaus und den jeweiligen Retourkutschen der Gegenseite. Und all diese Buntheit dient keineswegs dem Aufputz von Inhaltslosigkeiten, sondern transportiert sehr ernst gemeinte und ernst genommene Aussagen.

Unter diesen Aussagen aber spielte die Erläuterung der jeweiligen eigenen Ideologie, der Parteiprogramme, eine so geringe Rolle wie heute.

Was die Wahlkämpfe zwischen 1945 und 1966 zeitgeschichtlich so interessant macht, ist die ungeheure

Emotionalität, mit der sie geführt wurden. Ist das Bestiarium von Feindfiguren und die apokalyptische Düsterkeit der an die Wand gemalten Gefahren.

Von 1945 bis 1955, also im Jahrzehnt zwischen Befreiung und Staatsvertrag, hatte die ÖVP im Wahlkampf jeweils einen Startvorteil. Die Rote Armee stand an der Enns, Wien mit seinen vier Besatzungszonen und dem in jedem vierten Monat der sowjetischen Besatzungsmacht unterstellten ersten Bezirk war vom sowjetisch besetä^n Niederösterreich umgeben, und alle sowjetisch besetzten Staaten in Österreichs Umgebung gerieten unter Stalins Fuchtel. Die Angst vor einem ähnlichen Schicksal war alles andere als irreal. Die SPÖ erwies sich schnell als resistent gegen jede Einflüsterung von sowjetischer Seite, aber der ÖVP bot sich die Formel „SPÖ - Marxismus“ und „SPÖ-Mar-xismus - Volksdemokratie“ an, und diese Formel fand in der „roten Katze“ ihren Ausdruck. Und in Plakaten wie „Es ist nur 1 Schritt zur Volksdemokratie, daher wähle österreichische Volkspartei“ oder in dem legendären Slogan „Nur 60 Kilometer von Wien ...“

Die SPÖ konterte die „rote Katze“ mit einer schwarzen Katze, die das Gesicht von ÖVP-Bundeskanzler Leopold Figl hatte, und mit dem „Rentenklau', einem schwarzen Mann mit den Buchstaben „ÖVP“ statt eines Gesichtes (1953), die ÖVP beantwortete den „Rentenklau“ 1956 mit einem roten Gegen-Manderl (Abbildung) ...

Was der ÖVP im besetzten Österreich mühelos gelang, nämlich die wahlkampf-wirksame und eingängige Identifizierung der SPÖ mit der Gefahr eines von der Sowjetunion einkassierten Österreich, brachte die SPÖ niemals fertig: Den Aufbau einer ÖVP-Feind-figur mit durchgehender Identität. Es war das Dilemma der SPÖ-Wahlwerbung im ersten Nachkriegsjahrzehnt, doppelgeleisig fahren zu müssen. Die ÖVP war einmal der böse Kapitalist mit dem Rentensack, der kapitalistische Unterdrücker mit der Zigarre, dann wieder der unsichere Kantonist, der seinerseits verdächtigt wurde, mit den Sowjets zu packeln, denn ein diesbezüglicher Untergriff war im besetzten Österreich mindestens so unentbehrlich wie heute der Vorwurf, Arbeitsplätze zu gefährden.

In einem Plakat wie mit dem der „Unglückskette“ Kapitalismus -Krise - Verzweiflung - Volksdemokratie (Abbildung) fand 1949 dieses Dilemma der SPÖ-Wahlstrategie unfreiwillig komischen Ausdruck.

Was man sich aber heute im Rückblick auf diese mit so viel Aggressivität geführten Wahlkämpfe ins Gedächtnis rufen sollte, ist das Ausmaß des Konsensus, das sich nach Wahl-kämpfeAi die am Gegner kein gutes Haar ließen, alsbald in der Phase der Regierungsbildung zeigte. Gerade die erstaunliche Leichtigkeit der Regierungsbildungen nach so harten Wahlkämpfen legt die Vermutung nahe, daß zumindest in der ersten Hälfte der Koalitionsära, von 1945 bis 1955, in den Wahlkämpfen die Emotionen nicht aufgeschaukelt, sondern abgebaut wurden. Später wurde in den Wahlkämpfen nicht mehr so hart geschlagen und dafür in der Regierungsbildung härter und länger um Posten und Einflußsphären gerangelt.

Cf sterreichs Wahlkämpfe von 1959 und 1962 gehören wahr-w scheinlich zu den originellsten in der Geschichte der Wahlkämpfe. Unwahrscheinlich, daß irgendwann irgendwo so unverblümt offen jener Zustand angepeilt wurde, den man heute in allen Staaten am meisten fürchtet, nämlich das Patt, das Stärkegleichgewicht zweier Großparteien.

1959 beklebte die SPÖ die Wände mit ihrem berühmten Schlagseitedampfer, auf dessen Kentern die schwarzen Haie in der Meerestiefe warten. Eine Zeitung brachte damals eine Karikatur, auf der Leute mit Steirerhüten im Gänsemarsch über die Mittelbretter eines Schiffsdecks marschieren, während ein Schiffsoffizier sagt: „Sind lauter Österreicher, Käptn, die trauen sich weder nach links noch nach rechts, damit das Gleichgewicht gewahrt bleibt!“

Das Resultat der Nationalratswahlen von 1959 war tatsächlich das Patt: Aus einem Mandatsverhältnis von 74 (SPÖ) zu 82 (ÖVP) wurden die berühmten 79 : 78, bei der nächsten Wahl, 1962, verlangte die ÖVP aber noch nicht die „klare Mehrheit“, sondern stieß wiederum ins Stabilitätshorn: „Gebt acht! Nur ein rotes Mandat mehr und Pittermann ist Bundeskanzler“ (die ÖVP erhielt daraufhin 81, die SPÖ 76, die FPÖ 8 Mandate).

1966 verlangte erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik eine Partei die „klare Mehrheit“ - und bekam sie. Mit der absoluten ÖVP-Mehrheit und der ersten Alleinregierung wurde die Große Koalition zu Grabe getragen. Fast niemand hat ihr damals eine Träne nachgeweint.

Denn damals zweifelte die Mehrheit der Österreicher längst nicht mehr an der grundsätzlichen demokratischen Verläßlichkeit beider Großparteien. Die gegenseitigen Anklagen und Verdächtigungen waren irgendwann zur leeren Geste, zum Ritual geworden. Das grundsätzliche Vertrauen aber ist in der Großen Koalition gewachsen. Immerhin waren die beiden Parteien, die sich 1945 auf Gedeih und Verderb so eng aneinander-fesselten, daß keiner von ihnen Spielraum für eigenes innenpolitisches Handeln blieb, elf Jahre vorher in einem blutigen Bürgerkrieg gegeneinander angetreten.

Sehr signifikant ist die Vorsicht, mit der das Thema 1934 aus den Wahlkämpfen möglichst herausgehalten wurde.

Die frühen Wahlkämpfe der Zweiten Republik machen das Ausmaß des Mißtrauens sichtbar, das 1945 zwischen den Großparteien noch vorhanden war. Was in diesen Wahlkämpfen herauskam, war sicher wahltaktisch hoch-gepusht, hatte aber echte Emotion als Basis. Alle vier Jahre wurde der emotionale Überdruck abgelassen, nachher war die Luft wieder rein.

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