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Kommt Schüler- „Volksbegehren“?

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„Seltsam: Wozu Untemchtsmini- ster Gratz im Laufe eines Jahres nicht imstande war, hat er jetzt in wenigen Stunden geschafft“, amüsierte sich der Vorsitzende des Mittelschüler-Kartell-Verbandes (MKV) Kaluza über die Gratz-Mit- teilung, daß bereits im Herbsit die erste Sitzung eines „Schülerbeirates“ im Unterrichtsministerium stattfinden soll. Gratz hat nämlich, seiner Parteikorrespondenz zufolge, „nunmehr ein Konzept für einen Schüler- beitaT entwickelte’"

Dem spontanen Entwicklungsprozeß hat allerdings der Mittelschüler- Kartell-Verband einiges entgegenzusetzen: als nämlich der Verband ziu einer Pressekonferenz eingeladen hatte, in der ein von ihm ausgearbeitetes Bundesgesetz für die Errichtung eines Schülerbeirates im Unterrichtsministerium der Öffentlichkeit vor- gestellit werden sollte, setzte bei Gratz hektische Aktivität ein. Und prompt gelang es ihm, einen Tag vor dem MKV mit dem Schülerbeirat vor die Öffentlichkeit zu treten.

„Wir begrüßen jeden Schritt vorwärts in dieser Sache“, verlautet aus dem MKV, „wallen aber doch feststellen, daß Graitz sich die Arbeit zu leicht gemacht hat: Er schmückt sich jetzt mit fremden Federn, denn auch die von ihm vorgetragenen Vorstellungen gehen auf ein Arbeitspapier zurück, das wir ihm im vergangenen

Dezember überreicht haben. Und das abzuschreiben, ist keine Kunst.“

Die Geschichte des Schülerbeirates geht konkret erst ins vergangene Jahr zurück, obwohl schon seit Jahren mit dem Gedanken einer demokratischen Schülervertretung im Unterrichtsministerium „gespielt“

wird. Erst bei einer Enqiuete von Bundeskanzler Kreisky mit Vertretern der österreichischen Jugend im Mai des vergangenen Jahres, kleideten Juigendverbände die vagen Vorstellungen in eine Idee. Gratz, bei dieser Enquete anwesend, war begeistert und kündigte eine Verwirklichung noch für das vergangene Schuljahr an. Es verstrichen allerdings Wochen und Monate, mit einem ausgearbeiteten Konzept versuchte es deshalb der MKV im Dezember mit einem zweitön Anlauf nochmals.

Der wesentliche Unterschied zwischen den Gratz-Vorstellumgen und dem Vorschlag des MKV ist der, daß Gratz den Schülerbeirat „ziu seiner persönlichen Beratung von Fall zu Fall einberuft“, während der MKV die gesetzliche Verankerung der Schülermitsprache fordert und den Minister zwingen will, auch die Schülermeinung anzuhören.

Sicherlich entspricht der Gratz- Vor schlag am ehesten der sozialistischen Regierungspraxis. Ein Rätesystem, wie es von sozialistischen Kreisen schon öfters vorgeschlagen wurde, soll das Mitspracherecht dokumentieren und damit die Beratenden beruhigen —, sie werden ja gehört. Der Schülerbeirat soll, so der MKV, aber nicht nur dann einibe- rufen werden, wenn der jeweilige Minister eine „Show“ abziehen will, sondern auch dann, wenn ein Problem ziu lösen ist, das etwa dem Minister nicht zusagt.

Im Unterrichtsministerium stellt man vorläufig die Haare auf: da weder Eltern- noch Professorenbeirat gesetzlich verankert sind, braucht man den Schülern schon gar nicht eine gesetzliche Zusicherung geben. „Die haben ja nur Angst, daß einmal die Betroffenen nicht mehr bitten kommen, sondern ihr Recht verlangen“, umreißt MKV-Ghef Kaluza die Situation.

Und der MKV kontert, daß auch ein lediglich beratender Eltern- und Professorenbeirat kein Argument gegen eine gesetzlich zugesicherte Schülermitsprache sein kann. Im Gegenteil: auch die Eltern und Lehrer sollen ihre Miitsprache gesetzllich zugesichert erhalten.

Ohne Zweifel reiten die Mittelschüler derzeit auf einer populären Welle und wollen daraus auch Kapital schlagen: so will man zum Beispiel, sollte Grate eine gesetzlich verankerte Schülermitsprache zu verhindern suchen, an allen Oberstufen von Höheren Schulen eine Unterschriftenaktion — „Schülervolksbegehren“ — starten, um der Forderung Nachdruck zu verleihen. Offensichtlich hat der MKV freilich damit bei der „Ausschlachtung“ seiner Ideen auch bei der SPÖ eine Anleihe bezogen …

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