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Der versierte Laie

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Die Vorstellung, ein Attentat habe den Einsturz der Wiener Reichsbrücke, des am meisten befahrenen Straßenstückes von Österreich, verursacht, hätte etwas Tröstliches am sich im Vergleich zur schrecklichen Gewißheit, daß dabei nur Schlamperei mit im Spiel war. Attentate sind univorhersehbar, lassen sich nur mit sehr viel Glück rechtzeitig aufdek-ken und verlhindern. Sabotageakte sind in gewissem Sinne höhere Gewalt, daher auch entschuldbar. Ihre „Einmaligkeit“ lenkt ab von der Frage nach der Wiederholbarkeit; Feindbilder werden zu Chiffren für die Bedrohung von außen, und da man davon immer schon wußte, fällt der Übergang zur Tagesordnung leicht.

Frühmorgens am 1. August brach die Reichsbrücke zusammen. Ein Mensch, es hätten auch Hunderte sein können, kam dabei ums Leben, der materielle Schaden (Räum-artoeiten, Verkehrsumleitungen, mehrwöchige Unterbrechung der Donauschiffsfahrt, Neubau der Brücke) wird auf rund 1,3 Milliarden Schilling geschätzt.

Während beispielsweise die Tragwerke der Brennerautobahn jeden Tag kontrolliert werden, in der Bundesrepublik eine genaue Uberprüfung von Brücken innerhalb von jeweils 24 Stunden vorgesehen ist und ein Brückenbuch mit eingetragenen Kontrollberichten internationaler Gebrauch ist, wurde die Tragfähigkeit der Wiener Reichsibrücke nur einmal monatlich durch einen Kontrollgang des Werkmeisters geprüft. Zuletzt am 17. Juli studierte der zuständige Werkmeister per Fernglas die Wiener Reichsbrücke. Er hatte keine technische Ausbildung genossen, war Autodidakt, was ihm von seiner Dienststelle die Bezeichnung „technisch versierter Beamter“

eintrug. Mängel an Brückenelementen wurden nie geprüft, nur einmal jährlich wurden die Karteiblätter des „technisch versierten Beamten“ im Rathaus besehen, akzeptiert und paraphiert. Nie nahmen Stahibaufir-men Untersuchungen vor, nie erkannte man die Notwendigkeit, Spannungsmessungen während der Hauptverkehrszeit durchzuführen.

Nach Bekanntwerden der Katastrophe hat Bürgermeister Leopold Gratz prompt einen „Krisenstab“ einberufen, sofort mitgeteilt, das Wiener Rathaus werde die durch den Einsturz der am meisten befahrenen Verkehrsverbindiung Österreichs verursachten Verkehrsschwierigkeiten in gewohnter Art bewältigen. Im übrigen aber versprach Gratz, daß nach eingehenden Analysen der Ursachen und Wirkungen des Brückeneinsturzes durch ein aus vier Wissenschaftlern zusammengesetztes Untersuchungsteam entsprechende Konsequenzen gezogen würden. Da man sehr überlegt handeln wolle, sei Geduld erfonderlich. Weiters deutete Leopold Gratz den Ruck-

tritt des .Planungs-Stadtrats“ Fritz Hofmann an. Gar so ungelegen wird Gratz dieser Rücktritt gewiß nicht kommen, ist doch bekannt, daß Hofmann zu den schärfsten Kritikern des an der Kommunalpolitik meist so unbeteiligten Bürgermeisters zählt.

Es zählt zum besonderen „Glück“ des Leopold Gratz, daß ihn jeder Schaden, der die Bundeshauptstadt und ihre Bevölkerung trifft — vom Bauring bis zum Einsturz der Wiener Reichsbrücke — noch stärker macht. Gar nicht auszudenken, wie stark Leopold Gratz im Rathaus und in der Wiener SP-Organisation noch werden kann. Der große Abgängige in der Wiener Kommunalpolitik hat

es immer noch verstanden, seine gelegentlichen Auftritte zu zelebrieren. Gratz vor den Trümmern, Gratz vor der Presse, Gratz im Mittelpunkt des Krisenstabes, Gratz bestürzt, Gratz entschlossen, Gratz, Gratz, Gratz. Es gelang ihm sogar, eine Ahnung von Glück darüber zu vermitteln, daß die Wiener Reichsbrücke nicht sechsunddreißig Stunden später — in der Verkehrsspitzenzeit am Montag Nachmittag — eingestürzt ist. Wie recht er doch hat, und wie schrecklich zugleich diie Vorstellungen der Wiener Kommunalpolitik von Glück und Unglück sind. Und so en passant gelang es auch den Mitgliedern des Krisienstabes, darüber zu wettern, daß ausgerechnet die Reichsbrücke einstürzen mußte. Eher noch hätte man mit1 einem Einsturz der ebenfalls stark befahrenen Floridsdorfer Brücke gerechnet.

Da spielt man in Wien die Aktion „Ja zu Wien“, preist sich die Wiener Kommunalpolitik als Politik für die „Weltstadt Wien“, da wird aus dem

Fällen von 48 Bäumen ein polittischer Skandal konstruiert und der 1,5-Mil-liarden-Schüling-Skandal des gemeindeeigenen Baurings als läppischer Umfaller dargestellt, da wind selbst der Einsturz der größten Wiener Brücke als relatives Glück hingestellt, da ärgert man sich in der Bundeshauptstadt und ist doch immer wieder bereit, auch zu vergessen, bis imain erfährt, daß es auch noch andere vielbefahrene Brücken über die Donau gibt, die einstürzen könnten.

Wer daraus nicht den Schluß zieht, daß die Wiener Kommunalpolitik längst nicht allein mit dem Geld der Wiener spielt, es hin und her transferiert, bis es womöglich in den Kassen der Wiener SPÖ landen könnte, sondern daß Rathaus-Politik und -Administration auch täglich das Leben der Wiener auf den Brücken der Bundeshauptstadt riskieren, dem ist nicht zu helfen.

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