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Wien—,baufälliges Haus'

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FURCHE: Glauben Sie, daß sich Ihre Wahlchancen seit der Designierung von Leopold Gratz zum Bürgermeister nicht bedeutend verschlechtert haben?

HAHN: In zwei Landeshauptstädten Österreichs wurde die Legende von den großen kommunalpolitischen Leistungen der Sozialisten zu Grabe getragen. Am 21. Oktober wird diese Legende auch in Wien stark „angegratzt“ werden. Ich bestreite den kommenden Wahlkampf mit einem von hunderten Fachleuten verfaßten „Realkonzept“ für ein gesundes, lebenswertes und sauberes Wien, wobei sich das Wort „sauber“ nicht nur auf den Umweltschutz bezieht.

FURCHE: Aber Leopold Gratz ist nicht Felix Slavik ...

HAHN: Ich habe mir da einen Spruch zurechtgelegt: Salzburg, Klagenfurt, Graz — Gratz. Abgeordneter Gratz ist der dritte Wiener Bürgermeister in den letzten drei Jahren. Er wird am 5. Juli ohne die Stimmen der ÖVP zum Bürgermeister gewählt werden und einen Tag später den Gemeinderat auflösen. Das wird die erste kommunalpolitische Handlung des neuen Bürgermeisters sein. Ich kenne sein Programm nicht. Ich weiß nur, daß er das „System Slavik“ verteidigt, daß er sich scheut, den Rechnungshofbericht vor den Wahlen vorzulegen und ich habe aus einem Interview mit Gratz erfahren, daß er so wie bisher die sozialistische Parteiarbeit in Wien mit kommunalen Besitztümern verfilzen will. Da ich Leopold Gratz als klugen

Parlamentarier kennengelernt habe, hat mich diese Einstellung sehr enttäuscht. Ich könnte mir vorstellen, daß die Wiener bald merken werden, daß der Bürgermeister für hundert Tage nichts weiter ist, als eine neue Fassade vor einem baufälligen Haus; daß das gute Image des Abgeordneten Gratz von der Wiener SPÖ dafür eingesetzt wird, das „System Slavik“ zu retten.

FURCHE: Wie ist das nun mit dem ÖVP-Wahlziel: will die ÖVP im Wiener Gemeinderat eine brave Koalitions- oder harte Oppositionspartei sein?

HAHN: Seit 1969 ist auch im Wiener Rathaus die Koalition alten Stils tot. Seit diesem Zeitpunkt gibt es eine recht lose Kooperation zwischen den beiden Mehrheitsparteien. Seit damals hat sich die Wiener ÖVP stärker profiliert. Sie hat Initiativen etwa in Richtung einer Demokratisierung der Wiener Stadtverfassung gestartet, sie hat vielen Vorlagen der absoluten SPÖ-Rathausmehr-heit nicht zugestimmt, wie etwa dem völlig sinnlosen Bau einer Donauinsel. Die Wiener ÖVP klebt nicht an den/ Sesseln im Wiener Rathaus; sie fühlt sich aber im Interesse ihrer Wähler dazu verpflichtet, die absolute Rathausmehrheit zu kontrollieren.

FURCHE: Wird sich an der oft kritisierten ÖVP-Fraktion im Gemeinderat etwas ändern, wird die Wiener ÖVP Mitglieder des Stadtsenats austauschen? Einige sind ja schon eine ganze Weile im Amt — und sicherlich amtsmüde?

HAHN: Bei der Kandidatenauf--Stellung wird die Wiener ÖVP nach dem Grundsatz der Erfahrung und Erneuerung handeln. Wir haben sehr viele junge und tüchtige Leute, die für eine Funktion im Gemeinderat in Frage kommen. Wir haben aber auch sehr viele bewährte Kräfte, die auf Grund ihrer kommunalpolitischen Erfahrungen im Wiener Gemeinderat unentbehrlich sind. Die Wiener ÖVP stellt zur Zeit vier Mitglieder des Stadtsenats, von denen jedes einzelne seine Tüchtigkeit unter Beweis gestellt hat. Ich sehe also keinen Grund für Änderungen, will aber in dieser Frage den dafür zuständigen Gremien in der Wiener Volkspartei nicht vorgreifen.

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