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Wiener Wahlen provoziert

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Nach einem Beschluß des „Wiener Ausschusses“ der SPÖ steht nunmehr fest, daß die Wiener Wahlen nicht am verfassungsmäßigen Ende der Legislaturperiode, sondern ein halbes Jahr früher, nämlich am 27. April 1969, abgemalten werden. Die Ereignissie nach dieser SPÖ-Ent-scheidumg sind in mehrfadhier Hinsicht bemerkenswert. In einem Brief wurde die Wiener ÖVP über die Beschlüsse des „Wiener Ausschusses“ der SPÖ vom

13. Jänner in Kenntnis gesetzt. Dieser Brief erreichte den Wiener ÖVP-Obmiann NR Harttl am Abend des

14. Jänner und baitte folgenden Inhalt:

• Der „Wiener Ausschuß“ habe das Wiener Präsidium der SPÖ beauflagt, mit der ÖVP-Wien Verhandlungen zu führen, daß der „Wahltermin der Gemeinderatswahl 1969 ehestens festgelegt werden kann“.

• Die ÖVP habe „den Wahlkampf sichtbar eröffnet“.

• Mit einem Zusammenfallen der Nationalratswahlen und der Wiener GemeinderatswaM sei ein „komplizierter Walhlvorgang“ verbunden, so daß eine „Trennung der Wahlter-minie“ anzustreben sei.

• Das Wahlprogramm der Wiener SPÖ sei erfüllt.

• Für eine Reihe großer Projekte, die in der nächsten Wahlperiode zur Ausführung gelangen sollen, sei „ein vorheriges Votum der Wiener Bevölkerung“ notwendig.Wovon in dler SPÖ-Depesche kein Wort zu finden war, nämlich vom beabsichtigten neuen Wahltenmin, hatten schon am selben Tag die sozialMsttischien Morgenbläitter übereinstimmend berichtet: „Wien wählt bereits im Frühjahr“, meldete die Schlagzeile des SPÖ-Organs „Arbeiter-Zeitung“ und „Wien ist einen Alleingang wert“, meinte das Blatt der Wiener SPÖ, die „Neue Zeitung“.

Vom Gemeinderat beschlossen

Doch das war nicht der einzige Mangel am Brief der SPÖ. Nicht ein einziges Argument, das von der SPÖ für die Notwendigkeit zu „Verhandlungen“ über den Wahltenmin angeführt wurde, hält nämlich einer Überprüfung sitand:

• Als „Eröffnung des Wahlkampfes“ wurde vom Wiener SPÖ-Larades-sekretär Ing. Hofmann nichts anderes als die Budgetrede des Wiener Vizebürgermeisters Dr. Drimmel bezeichnet. Da auch die Wiener SPÖ zum Budget sprach, hat sie sich zumindest in gleicher Weise „schuldig“ gemacht.

• Zum Termin der Naitionak-atswahl hatte ÖVP-Generalsekretär Vizekanzler Dr. Withalm noch vor der Sitzung des „Wiener Ausschusses“ eine eindeutige Erklärung abgegeben.

Durch die Vorverlegung der Wiener Wahl würde daher erst recht die Nationalraitswahl 1974 miit der Wiener Wahl 1974 zusammenfallen. Außerdem wurden schon zweimal, nämlich am 25. November 1945 und am 9. Oktober 1949, ohne Schwierigkeiten . Nationalrat und . Wiener Gemieinderat gleichzeitig -.gewählt.

• Die SPÖ hat ihr Wahlprogramm nicht erfüllt. Der Klubobmann der Wiener ÖVP-Gemeinderatsfraktion, Landtagsprasidenit Müblhauser, hatte dier Wiener SPÖ einige Tage vor dem Wiener Ausschuß in einer offiziellen Erklärung nachgewiesen, daß zumindest acht wesentliche Punkte des SP-Programms unerfüllt sind, und daß es daher notwendig sei, die volle fünfjährige Regierungsperiode bis zum Oktober 1969 zu nützen.

• Besonders interessant ist der Vorwand für große Projekte sei ein „Votum der Wiener Bevölkerung“ notwendig. Es gibt nämlich kein Großprojekt für die nächsten fünf Jahre, das nicht schon vom Wiener Gemeindierat beschlossen wurde.

„Zwingende Gründe?“

So verhält es sich auch bei den Projekten, die von der „Arbeiter-Zeitung“, von der „Neuen Zeitung“ und vom SPÖ-Landessekretär selbst in diesem Zusammenhang angeführt wurden: U-Bahn, Hochwasiserschutz, Kläranlagen, Fernheizwerke etc. Für alle diese Projekte sind sogar schon im Wiener Budget 1969 finanzielle Mittel enthalten.

Das Projekt für den Hochwasser-schutz war überdies schon im Wahl-programm 1964 der Wiener SPÖ versprochen worden. Die Wiener SPÖ lastet sich daher mit diesem Argument folgende Vorwürfe auf:

• Sie muß unerfüllte Wahlversprechen auf die nächste Wahlperiode verschieben,

• Sie ruft die Bevölkerung zu Entscheidungen auf, die längst gefallen sind und für deren Verwirklichung bereits viele Millionen ausgegeben wurden.

Der bekannte Verfassungsrechtler Univ.-Prof. Dr. Winikler hat erst kürzlich in einem Fernsehinterview: die verfassungsmäßige Dauer der' Legislaturperioden als einen wesentlichen „Wählerauftrag“ bezeichnet, dessen vorzeitige Abweisung nur durch zwingende Gründe“, etwa eine Wirtschaftskrise, gerechtfertigt erscheinen könne.

Auch die Wiener ÖVP will daher die „Argumente“ der SPÖ nicht annehmen, isondem vermutet, die SPÖ müsse noch einen ganz anderen, vermutlich internen Grund für eine vorzeitige Wahl haben, den sie jedoch geheimhalte.

In der Wiener ÖVP scheint man es allerdings nicht eilig zu haben. Man kann zum Beispiel hören: „Die Wiener Legislaturperiode läuft erst im Oktober 1969 ab und unser Arbeitsübereinkommen mit der SPÖ regelt die Zusammenarbeit bis zu diesem Zeitpunkt. Verhandlungen über den Wahltermin wären also auch im August noch nicht zu spät.“

Es bestehen aber in der ÖVP keine Zweifel darüber, daß die SPÖ ihren Willen, begründet oder unbegründet, einfach auf Grund ihrer Mehrheit durchsetzen kann und wird. Doch will man der SPÖ in diesem Zusammenhang offenbar jede Initiative überlassen, auch die des Verhandlungstermins.

Eine Zustimmung der ÖVP zu einer vorzeitigen Auflösung des Wiener Gemeinderaltes wäre jedenfalls verhängnisvoll: Die SPÖ könnte dann nämlich für die Richtigkeit aller fragwürdigen Behauptungen, welche von ihr in diesem Zusammenhang verbreitet wurden, die ÖVP als Zeugen anrufen. Dieser politischen Vergewaltigung wird sich die Wiener ÖVP zweifellos nicht aussetzen.

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