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Wählt Wien schon im Frühjahr?

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Für die Wiener Sozialisten gab es keine, richtigen Weihnacbtsferien. Noch im Jänner soll die Entscheidung darüber fallen, ob die laufende Legislaturperiode verfassungisgemäß zu Ende gehen soll, oder ob die Wiener schon zu einem früheren Zeitpunkt wählen werden. Eine starke Gruppe innerhail) der Wiener SPÖ tritt aus guten Gründen für vorzeitige Neuwahlen in den Landtag, den Gemeinderat und die Bezirksvertretungen ein. Sie schlägt einen April-tenmin vor und will gerne auf die restlichen sechs Monate bis zum Ende der fünfjährigen Regierungsperiode im Oktober 1969 verzichten.

Offenbar unter diesen Aspekten beendete die Wiener SPÖ das Arbeitsjahr 1968 mit einer Geste, die in ihrer Art, Zielrichtung und Zeitwahl in der mehr als zwanzigjährigen Geschichte der Wiener Rathaurskoalition nicht oft vorkam. ÖVP und SPÖ hatten am 20. Dezember in friedlicher Eintracht nach siebentägiger Budgetdebatte das 13-Milliarden-Budget der Stadt Wien und das 5-MiMiarden-Budget der Wiener Stadtwerke beschlossen. Beim letzten, völlig bri-sanalosen Punkt der Resttagesordnung meldete sich der sonst sehr zurückhaltende SPÖ-Gemeinderat Garwlik zu Wort und verlangte in einem Antrag von der Stadtwerke-Stadträtin Dkftn. Dr. Schaomayer (ÖVP) gerade das, was die SPÖ den StadtwerkeStadträten, die seit 1945 der ÖVP angehörten, immer wieder versagt hatte: eine grundlegende Sanierung der Stadtwerke, und damit ihres Sorgenkindes, der Wiener Verkehrsbetriebe.

Auch die abschwächenden Worte des Bürgenmeisters Marek in seiner Weihnachtsamsprache konnten die überraschende Aggressivität der Rathausmehrheit nach einer völlig defensiv geführten Budgetdebatte nicht abschwächen. Zum erstenmal scheint die Wiener SPÖ von einer regulären Beendigung der Wahlperiode nichts wissen zu wallen.

Nebenwirkungen eines Prozesses Der Wunsch nach vorzeitigen Neuwahlen in Wien hat für die SPÖ trotz ihrer Mehrheit zweifellos eine ganze Reihe von Gründen:

• Meinungsumfragen bei der Bevölkerung haben ergeben, daß der für die SPÖ günstige „Wähiertrend“ zum Stillstand gekommen ist und mit einer Wendung gerechinet werden muß.

• Der Strafprozeß gegen den früheren SPÖ-Innenmiin ister Franz Olah wegen Verdachts der Veruntreuung von Gewerkschaftsgeldern steht unmittelbar bevor, und man weiß, daß ein Wiener Ex-SPÖ-Gemeinderat als Mitbeschuidigter und ziemlich sicher ein hoher Wiener Spitzenfunktionär der SPÖ als einer der „Kronzeugen“ Olahs geladen werden wird.

• Schließlich bereitet es einem Teil der Wiener Sozialisten Unbehagen, daß sie ihr eigenes Wahlprogramm von 1964 nicht zur Gänze werden erfüllen können.

Diese Probleme könnten durch Vorverlegung des Wahltermins natürlich weitgehend aus der Welt geschafft werden.

Dabei ergab sich jedoch die größte Schwierigkeit, nämlich neben diesen internen Gründen auch einen offiziellen Anlaß zu finden. Das wurde tatsächlich versucht: Zuerst wurde das Gerücht ausgestreut, die Wiener ÖVP wolle gerne früher wählen, weil die ÖVP auf Bundesebene die Natio-nalratswahlen vom Frühjahr 1970 amf den Herbst 1969 vorverlegen werde und dann die Wiener ÖVP den ungünstigen 1 „Bundes-Trend“ ' zu fürchten hätte.

Diese Rechnung konnte allerdings nicht aufgehen: Erstens ließ die ÖVP-Bundesparteileitung sofort durchblicken, daß sie selbstverständlich die volle Dauer der Legislaturperiode zur Erfüllung ihrer Wahlversprechen nützen werde; zweitens könnte eine Nationaüratswahl für die ÖVP derzeit auch beim ungünstigen „Wähiertrend“ nicht so schlecht ausgehen, daß für die 35-Prozent-Min-derheit der Wiener ÖVP bei gleichzeitiger Gemeindewahl nicht doch noch zusätzliche Wählerstimmen „abfallen“ würden.

Ungeachtet aller Kombinationen betonte jedenfalls die Wiener ÖVP, es bestehe ein Koalitionsabkammen mit der SPÖ, und zwar für die gesamte Dauer der Regierungsperiode, also bis Oktober 1969. Eine einseitige Änderung in der Frage des Wahltermins wäre als Bruch dieses Abkommens zu bewerten.

Anläßlich der Novellierung der Wiener Gemeindewahlordnung zur Herabsetzung des Wahlalters um ein Jahr unternahm die SPÖ dann einen neuerlichen Vorstoß. Sie wollte jene Bestimmungen der Wiener Wahlordnung streichen lassen, die eine gleichzeitige Nationalrats- und Gemeinderatswahl ermöglichen. Dabei dienten „verfassungsrechtliche Bedenken“ als Vorwand.

Aber auch diese Aktion ging nicht ohne Einwand der ÖVP über die Bühne: Die Bevölkerung würde es nicht verstehen, müßte sie zwei Wahltage in Kauf nehmen, wenn die beiden Wahlen zufällig — wie schon zweimal — zusammenfielen —, von den unnötigen Kosten ganz abgesehen.

Schon im Jänner wird also zutage treten, ob es der SPÖ wirklich um die Stadtwerke-Sanierung gegangen ist, oder ob sie auf das Ende der Rathauskoalition hinsteuert. In diesem Fall würde die SPÖ allerdings selbst eines der Argumente ihrer Bundespoliti'k, wo sie wiederholt für die verstärkte Zusammenarbeit der beiden großen Parteien eingetreten ist, von sich weisen.

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