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60.000 Silberlinge

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Anfang Februar schien alles einfach und klar. Was war geschehen? Der Verband Sozialistischer Mittelschüler (VSM) hatte am 13. und 14. Jänner vor der Wiener Universität ein Flugblatt verteilt, das die sozialistische Parteiführung zu einer Reaktion zwang. Die Parteiführung hatte reagiert — im Prinzip richtig, mit einer Trennung vom VSM. Erst die Begleit- und Folgeumstände machten sichtbar, daß zwar die vom Tiefroten ins Septemberschwarze spielende Infektion mit dem Keim blindradikaler Palästinenser-Soli-dardsierung kaum die Peripherie der Partei gestreift hatte, dafür aber die nicht weniger gefährliche Zersetzung eines lebenswichtigen Minimums an rechtsstaatlicher Gewissenhaftigkeit tief in das Mark der Regierungspartei vorgedrungen ist.

Als, um mit Mutter Courage zu sprechen, der Krieg in Vietnam nicht mehr zu retten war, wuchs, in Österreich von Beständen an unbewußtem Antisemitismus genährt, die Versuchung, auf den nahöstlichen Schauplatz auszuweichen und den Umstand, daß die Realitäten hier lange nicht so schön in das schwarzweiße Freund-Feind-Bild passen, gründlich zu verdrängen. Auch der VSM geriet dabei so weit nach links, daß er mit der Forderung, der israelische Staat müsse zerstört werden, von rechts wieder ins Bild kam. Nach dem Flugblatt mit dieser Forderung zog die SPÖ die Konsequenz und den längst fälligen Trennungsstrich.

Nun ist der VSM zwar einerseits, laut Statut, eine Organisation der Partei, laut Vereinsgesetz aber ein autonomer Verein, dessen Funktionäre nur von den Mitgliedern, aber keineswegs von der vereinsgesetzlich außenstehenden SPÖ abgesetzt werden können. Das ist eine Frage des Vereinsgesetzes und nicht der Gesinnung, ob die einem nun paßt oder nicht.

Die SPÖ hatte dem VSM gegenüber einige klare, anständige Möglichkeiten. Sie konnte versuchen, gerichtlich gegen den VSM vorzugehen. Sie konnte mit dem Parteiausschluß drohen. Sie konnte dem VSM jede weitere Unterstützung und damit die finanzielle Basis entziehen. Sie konnte nicht zuletzt eine neue Mittelschülerorganisation (freilich einstweilen anderen Namens) gründen und den VSM seinem Schicksal überlassen. Angesichts der öffentlichen Reaktionen auf das Jännerflugblatt hatte sie dabei keinen Gesichtsverlust zu befürchten. Aber die SPÖ reagierte leider kleinlicher, häßlicher, unkorrekter.

Da verweigert ein Gemeinderat dem VSM seine Gegenzeichnung auf Schecks und Überweisungen und blockiert damit Beträge, die dem VSM offenbar bereits gehören.

Da gehen Beauftragte der SPÖ einfach zur Vereinsbehörde und versuchen den bestehenden VSM „abzumelden“ wie einen Untermieter, den man nicht mehr haben will.

Da wird, den VSM-Funktionären gegenüber, mit der Behauptung geblufft, die Zeichnungsberechtigung für das VSM-Konto sei bereits auf den Namen neuer, SPÖ-genehmer Funktionäre, abgeändert worden.

Da ist, keineswegs ganz unglaubwürdig, von Drohungen die Rede, man werde die Vereinsbehörde unter Druck setzen.

Vor allem aber werden im Zuge dieser großen Schaustellung roter Unterwäsche, die auch keinen Schwarzen freuen kann, zwei große Fragenkomplexe an die Oberfläche geschwemmt, die nicht nur die Sozialistische Partei angehen, die den Rahmen interner Querelen sprengen.

Frage Eins betrifft die Rechtmäßigkeit der VSM-Mitgliedschaft im Bundesjugendring mit allen Konsequenzen. Denn einerseits wird in den Statuten des Bundesjugendrin-ges gefordert, daß alle Mitgliedsorganisationen, auch soweit sie, wie etwa der VSM in der SPÖ, Mitgliedsorganisationen einer Erwachsenenorganisation sind, ein eigenständiges Vereinsleben haben. Auf der anderen Seite aber scheint es mit der Autonomie des VSM nicht sehr weit her gewesen zu sein, wenn etwa der sozialistische Landtagsabgeordnete und Abgeordnete zum Gemeinderat, Edlinger, jede Uberweisung und jeden Scheck des VSM gegenzeichnen mußte — wie der VSM erklärt, sollte diese Regelung nur für die Zelt einer (vergangenen?) Verschuldung gelten, später aber trotz langwieriger Ur-genzen des VSM nicht aufgehoben worden sein. Um ihn am Gängelband zu halten?

Frage zwei betrifft die politische Einflußnahme auf dem Subventionsweg. Wenn wahr ist, was der VSM nun in seinem „Pressedienst“ zum besten gibt, bewegt sich die Unterstützungspolitik der Gemeinde Wien gegenüber der roten Mittelschülerorganisation seit Jahren bestenfalls am Rande der Legalität. Demnach hätte der Gemeinderat zwar jeweils Sübventionszahlunigen für die Wiener Landesorganisation des VSM beschlossen, diese Beträge aber nicht an den VSM selbst, sondern an die Wiener SPÖ ausgezahlt, die das Geld dann jeweils nach Maßgabe der politischen Bravheit an die Empfänger weiterleitete.

Im Februar 1973 soll der Gemeinderat wieder eine 60.000-Schil-ling-Sufovention für den Wiener VSM beschlossen und das Geld an die Wiener SPÖ gezahlt haben. SP-Landesparteisekretär Nittel lehnte, VSM zufolge, die Weitergabe an die — als Bundesjugendringmitglied „autonome“ — Jugendorganisation ab.

Wenn solche Zustände schon lange herrschen, dann sind sie zwar keine Entschuldigung für einen Kurs, der leicht vom radikalen in das terroristische Fahrwasser führen kann, aber mildernde Umstände wären den VSMlern doch zuzubilligen.

Solche Zustände in der Vergangenheit machen es aber auch begreiflich, wenn Tante SPÖ heute so wenig klar und anständig, sondern so kleinlich und unkorrekt reagiert. Leider konnte sie es nicht erwarten, bis der VSM, selbst im Besitz von 60.000 roten Silberlingen, von selber zerfiel, was wahrscheinlich in absehbarer Zeit der Fall gewesen wäre und jetzt länger auf sich warten lassen wird.

Denn mit den Maßnahmen, welche die Partei gegen ihre unbotmäßigen Mittelschüler ergriff, hat sie diese in eine überaus dankbare Märtyrerrolle gedrängt.

Aber auch den solidarisierenden Effekt einer Klage gegen Staberl von der „Kronen-Zeitung“ lassen sich die Mittelschüler nicht entgehen. Nicht einklagbar, aber illustrativ für die Strudel, in die sie auf der vermeintlichen Reise nach links gerieten, aber auch dafür, was sich in Österreichs Mittelschülerpresse sonst noch tut, ist der Kommentar einer offensichtlich äußerst rechtslastigen Mittelschülerzeitung namens „Richtung“, wo es hieß: „In der .Kronen-Zeitung' wurden die Genossen als .faschistische Rotzlöffel' bezeichnet, wobei ihnen allerdings der erste Ausdruck entschieden zuviel Ehre antut.“

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