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Probst: Ein Wiener Fußach?
Es ist schon fast zur föderalistischen Tradition geworden, daß bei Nationalratswahlen Wien der ÖVP mit den besten und der SPÖ mit den schlechtesten Ergebnissen aufwartet. Entsprechend dieser merkwürdigen Relativitätstheorie hatte die Wiener ÖVP am 6. März 1966 die größten Gewinne und am 1. März 1970 die geringsten Verluste aufzuweisen. Hingegen konnte die Wiener SPÖ mit ihrem Slogan „Gut für Wien, gut für Österreich“ bei der entscheidenden Wahl im Vorjahr bei weitem nicht halten, was Kreisky sich versprach. Die örtlich erfolgreichste Landesorganisation der SPÖ scheint Kreiskys Zug zum „modernen Österreich“ verpaßt zu haben.
Am 2. November 1970 glaubten die innenpolitischen Beobachter ihren Augen und Ohren nicht zu trauen: Als Nachfolger für den Bürgermeisterkandidaten Slavik holte die Wiener SPÖ als Parteiobmann just den bei der spektakulären Schiffstaufe in Fußach untergegangenen ehemaligen Verkehrsminister Otto Probst aus der politischen Versenkung. Der 60 jährige Favoritner dachte auch keineswegs daran, der Wiener SPÖ ein moderneres Image zu geben, sondern heftete beim ersten offiziellen Anlaß in seiner
Festrede die „Tradition des roten Wien“ auf seine Fahne.
In der Gemeindepolitik setzte Slavik in gewohnter Weise seine
„Politik des Augenblicks“ im Bewußtsein der Macht fort. Und der „Wiener Sonderfall“ wurde in der SPÖ zu einem echten Problem, allerdings erstaunlich kaschiert durch Parteidisziplin. Doch so wie die ideologisch orientierten Gruppen innerhalb der SPÖ zum Teil nur widerwillig ihrem Vorsitzenden Kreisky eine Erfolgshaftung zubilligen, für die schon beim ersten Anzeichen einer Niederlage die Rechnung präsentiert werden würde, so folgt auch das Fußvolk der Wiener SPÖ nur noch zögernd ihrem neuen Chef.
In seinem Helmatbezirk Favoriten gibt es sogar schon gewichtige Symptome einer offenen Meuterei:
Vergangene Woche hat sich eine „Interessenvertretung der Gemeindemieter Wiens“ konstituiert, zu deren Proponenten auch ein Sektionsobmann der SPÖ gehört, der allerdings diese Funktion vorher zurückgelegt hat. Anlaß war der Mieteraufruhr im Zuge des „Heizkostenskandals“, den die gemeindeeigene „Heizbetriebe Wien Ges. m. b. H.“ durch gigantische Fehlplanungen und Fehlinvestitionen verursacht hatte.
Noch im vorigen Winter hatte die „Mieterzeitung“ als Organ der sozia-
llstlschen Mietervereinigung (der alle Gemeindemieter zwangsweise angehören) verzweifelt versucht, die aufgebrachten Kunden zu beschwichtigen. Doch da sich bekanntlich beim Geld auch die „Freundschaft!“ auf- hört, haben die empörten Gemeindemieter zur Selbsthilfe gegriffen: Mit einer Geschicklichkeit, welche die Handschrift geschulter „Apparatschiks“ verrät, wurde der Aufstand organisiert Das Konkurrenzunternehmen zur SPÖ-Mietervereinigung ist bereits im Vereinsregister eingetragen, hebt Mitgliedsbeiträge ein, verteilt Flugblätter und hat sogar 5000 Mitgliedskarten drucken lassen, die nun an den Mann gebracht werden.
Gleichzeitig haben sich bereits tausende Siedler gegen die willkürliche Autobahnplanung im Raum Wien organisiert und hielten in der Vorwoche eine Informations- und Protestversämmlung mitdem
Thema „Stadtautobahnen: Fortschritt oder Fluch?“ ab. ,
Während die erste „Kampf gruppe“ durch die Rechtsanwälte Dr. Michael Stern und Dr. Leutgeb vertreten wird und der zweite Aufstand von Dr. Zömlaib juristisch vorangetrieben wird, der schon vor zehn Jahren die Gemeinde Wien in der Biomull-Affäre erfolgreich bis zum Verwaltungsgerichtshof gejagt hat, versucht sich Probst auf dem Parteiweg durchzusetzen:
• Einige Mitarbeiter der „Selbsthilfeorganisationen“ erwarten ein Parteigericht,
• und ein SPÖ-Funktionär im Bundesdienst wurde sogar vor das Antlitz seines Ministers zitiert, zog es aber vor, den Dienst zu quittieren und in die Privatwirtschaft zu übersiedeln.
Inzwischen gewinnen die „maro- dier^pden“ Parteisoldaten in der Hoffnung auf ihr Recht weiter an Boden. Und die Angelegenheit könnte für Probst durchaus zu einem zweiten, diesmal endgültigen Fußach werden.
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