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Roter Computer

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Seit eineinhalb Jahren besteht im Wiener Rathaus die „lockerste Koalition Österreichs“: Ohne Pakt, ohne „geheime Ausschösse“. Und in der diesjährigen Budgetdebatte des Wiener Gemeinderates, die Ende dieser Woche abgeschlossen sein wird, kristallisiert zum erstenmal das neue Profil der beiden Wiener Kooperationspartner. SPÖ und ÖVP befinden sich zweifellos im Wettlauf um ein neues Image, das die SPÖ auch im neuen Jahrzehnt als Mehrheit legitimieren, die ÖVP hingegen als einzige kontrollierende Alternative von politischem Gewicht ausweisen soll.

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Seit eineinhalb Jahren besteht im Wiener Rathaus die „lockerste Koalition Österreichs“: Ohne Pakt, ohne „geheime Ausschösse“. Und in der diesjährigen Budgetdebatte des Wiener Gemeinderates, die Ende dieser Woche abgeschlossen sein wird, kristallisiert zum erstenmal das neue Profil der beiden Wiener Kooperationspartner. SPÖ und ÖVP befinden sich zweifellos im Wettlauf um ein neues Image, das die SPÖ auch im neuen Jahrzehnt als Mehrheit legitimieren, die ÖVP hingegen als einzige kontrollierende Alternative von politischem Gewicht ausweisen soll.

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Die Wiener SPÖ hat die Wissenschaft entdeckt: Mit einem Anfangskapital von rund 14 Millionen Schilling soll das vor einem Jahr gegründete „Institut für Stadtforschung“ wissenschaftliche Erkenntnisse für die StadtentwickJung nutebar machen. Zwei Soziologen, ein Geograph, eine Architektin, ein Nationalökonom, ein Mathematiker und Statistiker, eine Politologdn und weitere elf Angestellte, von denen allerdings zwei inzwischen wieder aus dem Institut ausgeschieden sind, sollen unter Leitung des früher beamteten Stadtplaners Conditt und des früheren „Kurier“-Kommunalbericht-erstatters Korzendörfer „nebenbei“ auch die Rathausführung vom Image parteipolitischer Engstirnig-keit befreien, und zwar auf „Regimentsunkosten“! Um den Fortschritt im Sachlichen hat die Wiener ÖVP seit vielen Jahren gekämpft: Die ÖVP-Forderungen nach einem Generalverkehrsplan, nach einem Stadtentwicklungsplan, nach einem wirtschaftlichen Konzept, nach Prognosen und Zukunftsmodellen soll erfüllt werden. Doch dieser Erfolg wird für die ÖVP vor der breiten Öffentlichkeit ebensowenig in politisches Kapital umzumünzen sein, wie etwa die Errichtung von Pensionistenheimen, die — ein Erfolg der Wiener ÖVP — heute der Rathausmehrheit gutgebucht werden.

Noch ist zwar die Politik der SPÖ im Wiener Rathaus über sachliche Diskussionen nicht erhaben. Doch die Profilierung der Wiener ÖVP innerhalb des lockeren Wiener Modells der Zusammenarbeit wird immer mehr zu einer Existenzfrage der zweitstärksten Rathauspartei. Die Generaldebattenrede der ÖVP-Spre-cherin zum Wiener Budget 1971, Stadträtin Dr. Schaumayer, hat eindeutig bewiesen, daß sich die ÖVP-Gemeinderatsfraktion dieser Problematik anscheinend doch bewußt ist und auch ihre Aufgabe im bevorstehenden System der „wissenschaftlichen“ Gemöindepolitik erkannt hat.

Nach Ansicht der ÖVP-Sprecherin Schaumayer besteht diese Aufgabe vor allem in der Anwaltschaft

• für die Kontrollierbarkeit des Camputersystems „zum Schutz der Individualsphäre“,

• für den verstärkten Einsatz der durch Wissenschaft entlasteten Be-hördeniapparate im „Kuindenservioe“,

• und gegen den Mißbrauch der Wissenschaft und des Computers als Instrumente politischer Manipulation.

Die letzten Wochen und Monate haben bewiesen, daß es der SPÖ in Wien keineswegs um die Unterwerfung der Partei unter die Wissenschaft geht. In den “ unlängst veröffentlichten städtischen „Leitlinien für die Wirtschaftspolitik“ findet sich im Quellennachweis neben anderen parteipolitischen Publikationen auch das letzte Wahlprogramm der SPÖ. Und vermutlich war deshalb die Reaktion der SPÖ im Wiener Gemeinderat so heftig, als Schaumayer eine Erklärung des als Wiener SPÖ-Obmann neugestarteten Exverkehrs-ministers Probst vom 24. November zitierte, in der Probst die „Tradition des roten Wien der Zwischenkriegszeit“ auf die Fahnen der Wiener SPÖ heftete.

SPÖ-Hauptsprecher Gemeinderat Schreiner replizierte, die SPÖ werde „alles dazu tun, um dieser Gehässigkeit in diesem Haus keinen Raum zu geben“ und Finanzstadtrat Slavik sprach im Schlußwort zur Generaldebatte eher ratlos von einer „oppositionellen Sprecherin“, die von Entwicklungen rede, die „ohnedies transparent“ seien. Trotzdem wurde klar, daß die Wiener SPÖ nur dann ihr scheinbar angestrebtes neues Profil wirklich gewinnen kann, wenn der Stil der Sachlichkeit auch vor Fragen der Demokratie nicht haltmacht. Und daß die Wiener ÖVP sich nur dann profilieren kann, wenn sie den begonnenen Weg fortsetzt und neben der Mitarbeit an der sachlichen Lösung von Gemedndeproble-men ihre Funktionen der Kontrolle, der Kritik und der Alternativen auch erkennbar wahrnimmt.

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