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Keine Njet-Partei

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Die Wiener ÖVP sucht einen Ausweg aus der ebenso ungeliebten wie en suite gespielten Rolle des „ewigen Verlierers“. Nicht zuletzt eine Personaldiskussion, die von außen über die Wiener Parteiorganisation wie eine Sturzwelle hereinbrach, hat die Erkenntnis besdileunigt, daß keine Personaldebatte notwendig ist — wohl eine Lösung der dahinterstehenden Sachprobleme. Der Landesparteirat, der am 18. September Zusammentritt, soll in drei Projektgruppen (Strategie und Organisation, Bildung und Schulung, Öffentlichkeitsarbeit) nunmehr neue Richtlinien für die künftige Parteiarbeit festlegen.

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Die Wiener ÖVP sucht einen Ausweg aus der ebenso ungeliebten wie en suite gespielten Rolle des „ewigen Verlierers“. Nicht zuletzt eine Personaldiskussion, die von außen über die Wiener Parteiorganisation wie eine Sturzwelle hereinbrach, hat die Erkenntnis besdileunigt, daß keine Personaldebatte notwendig ist — wohl eine Lösung der dahinterstehenden Sachprobleme. Der Landesparteirat, der am 18. September Zusammentritt, soll in drei Projektgruppen (Strategie und Organisation, Bildung und Schulung, Öffentlichkeitsarbeit) nunmehr neue Richtlinien für die künftige Parteiarbeit festlegen.

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Der vorliegende Entwurf eines neuen Organisationsmodells, das vom LandespaAeirat zum Beschluß erhoben werden soll, enthält eine Fülle von Vorschlägen, deren einziger Nachteil ihre ansehnliche Menge ist. Die Wiener ÖVP wird ihre Erneuerung nur in Etappen bewältigen können — die Etappenziele sollten so schnell wie möglich formuliert werden.

Vor allem verordnet sich die Wiener ÖVP in ihrem neuen Konzept eine Verlegung des Akzentes auf das Wort „Wien“. Ausschlaggebend dafür war die aus der Analyse des Wählerverhaltens anläßlich der Gemeinderatswahlen 1973 gewonnene Erkenntnis, daß eine große Zahl kritischer Wähler eine profilierte Oppositionspartei im Wiener Gemeinderat vermißt, daß hier eine große poltische „Marktlücke“ besteht, welche die Wiener ÖVP bislang nicht auszufüllen vermochte. Das neue Organisationsmodell enthält sowohl politisch-strategische als auch massen-organisatorische Re- zeptei — naturgemäß lassen sich erstere leichter bewältigen, so es ge lingt, die Beteiligten entsprechend zu motivieren.

Im konkreten Fall sollen nicht zuletzt die von Wiener Nationalrats- wählem in das Parlament ent-

sandten Nationalratsmanda’tare der ÖVP auf ein neues Verhalten vergattert werden. Während sie sich bisher mit ihrem Einzug in das Hohe Haus schlagartig zu hoch über allen kommunalpolitischen Niederungen schwebenden Bundespolitikern wandelten, sollen sidi die Wiener Nationalratsabgeordneten der ÖVP künftig im Parlament sehr viel stärker als Wahrer von Wiener Interessen verstehen.

Dieses neue, Wien-Bewußtsein der Wiener ÖVP-Nationalratsfraktion, die sich stärker mit den Auswirkungen bundespolitisdier Pläne auf die Bundeshauptstadt befassen und die Leistungen des Bundes für Wien überwachen soll, muß als kritisches

Bewußtsein, keineswegs aber als sture Neinsage-Politik verstanden werden. Die ÖVP will demnach keine Njet-Partei sein, sondern mehr als bisher zukunftsträchtige Initiativen aller Parteien unterstützen und ihrerseits Wien-Kcmzepte entwickeln. Auf diese Weise soH erreicht werden, daß die ÖVP sich im Bewußtsein der Wiener Wähler als jene „Wien-Partei“ verankert, deren Fehlen der Wähler mehr oder weniger deutlich empfindet.

Dieser BeAvußtseinswandel ist, wie die Verfasser des Reformentwurfs erkannt haben, nur durch eine dynamische Öffentlichkeitsarbeit möglich, die sich nicht darauf beschränkt, die kommunalpolitische Arbeit der ÖVP darzustellen, sondern die ihrerseits aktiv auf diese Arbeit einwirkt. Öffentlichkeitsarbeit in diesem Sinne ist als Meinungsartikulation in wichtigen Bundesfragen, aber auch ln internationalen Fragestellungen zu verstehen, soweit sie Wien als ur- banes Zentrum betreffen.

Wesentlich erscheint aber aucli der Vorschlag einer zielgruppenorientierten Politisierung der Sacharbeit — eine Schwerpunktsetzung in der politischen Arbeit, die darauf Rücksicht nimmt, wieweit damit Nicht- und Wechselwähler aktiviert werden können. Hier werden freilich noch ausgiebige sozialwissenschaftliche Forschungsarbeiten ansetzen müssen.

Das Konzept enthält eine Fülle weiterer detaillierter Vorschläge. Hier wäre nicht zuletzt eine institutionelle Verklammerung der ÖVP- Klubs im Nationalrat und im Gemeinderat zu erwähnen, die Meinungsäußerungen der ÖVP-Gemein- deräte, die im Gemeinderat unterzugehen pflegen, via Nationalratsiklub, stärkere Breitenwirkung verschaffen könnte. Denn einer der Faktoren des schlechten Abschneidens der ÖVP ist ja darin zu sehen, daß die Gemein- deratsopposition kaum eine Chance erhält, publizistisch in Erscheinung zu treten — was seit Jahren dazu beitrug, ihr ein Image der Ver- schlafenheit anzuhängen.

Vorgeschlagen werden ferner Servicestellen für Bürgerinitiativen, Be- treuun stellen für Zuwanderer vom Land, aber auch aus dem Ausland (Gastarbeiter), vor allem aber die Schaffung von „Regionen“ an Stelle der starren Bezirkseinteilung. In

Wien wie auch in anderen gewachsenen Städten entspricht die Be- zirkseinteMunig meist nur teilweise den natürlich gewachsenen Ballungs- kemen, den als geschlossene Lebensräume erlebten Stadtregionen. Neue organisatorische Modelle müssen auf diese Tatsache Rücksicht nehmen.

Sofort in Angriff zu nehmen wäre aber auch die Vorbereitung von Vorwahlen, die Sich als ein hervorragendes Werkzeug erwiesen haben, um den Kontakt zwischen Wählern und Mandatären zu verbessern. Selbstverständlich ist es unmöglich, diesbezügliche Bundesländer-Systeme zu übernehmen. Auch hier stellen sich in der Großstadt völlig andere Probleme als auf dem Land oder selbst in Landeshauptstädten. Die Erarbeitung eines Vorwahlsystems für Wien könnte zudem auch dazu beitragen, den Kontakt der Partei mit nahestehenden Außenstehenden zu verstärken.

In dieselbe Kerbe schlägt auch die Feststellung, daß die sanft entschlafenen Bezirksparlamente wiederbelebt werden sollten — aktiver und auf breiterer Ebene als seinerzeit.

Damit dürfte in der Wiener ÖVP jene Sachdiskussion beginnen, der man bislang so gerne auf dem Umweg über Personaldiskussionen aus dem Wege ging. Daß Wien eine Oppositionspartei braucht, die tatsächlich als Alternative zu einer verbrauchten und an der Macht korrumpierten SPÖ-Mehrheit in Frage kommt, pfeifen die Spatzen von den Dächern der Großstadt. Wieweit die Reformbefeitschaft allerdings geht, wird sich am Landesparteirat zeigen.

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