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Alle gegen Wien

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Nach der verlorenen Bundespräsidentenwahl am 23. Juni sind die ÖVP-Landesorganisationen der westlichen Bundesländer und der Steiermark geschlossen zum Marsch auf Wien angetreten. Zum Marsch auf Wien mit zweierlei Zielen: Richtung Bundesparteileitung in der Kärntnerstraße und Richtung Landesparteileitung in der Falkestraße. Und in den Bundesländern machte man sich sehr dezidiert Luft wegen der Verbitterung über die Wahlniederlage.

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Nach der verlorenen Bundespräsidentenwahl am 23. Juni sind die ÖVP-Landesorganisationen der westlichen Bundesländer und der Steiermark geschlossen zum Marsch auf Wien angetreten. Zum Marsch auf Wien mit zweierlei Zielen: Richtung Bundesparteileitung in der Kärntnerstraße und Richtung Landesparteileitung in der Falkestraße. Und in den Bundesländern machte man sich sehr dezidiert Luft wegen der Verbitterung über die Wahlniederlage.

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Die ersten Reaktionen auf die offenen Worte aus dem Westen und aus der Grünen Mark waren in Wien grantig. Sowohl auf Bundesebene — Parteiobmann Schleinzer stellte klar, daß er der Kanzlerkandidat sei und bleibe — als auch auf der Ebene der Wiener Landesparteileitung. Landes-parteichef Bauer erteilte seinem Tiroler Kollegen Wallnöfer eine in scharfen Worten gehaltene Abfuhr. Trotzdem gewann der Beobachter den Eindruck, daß man sich in der Wiener ÖVP zwar sehr wohl der Verantwortung bewußt sei, die man durch das schlechte Abschneiden bei der Bundespräsidentenwahl auf sich geladen habe, daß man aber gleichzeitig unter Heranziehung von Zahlenspielereien bemüht ist („das beste Wahlergebnis seit langem!“), die Verantwortung wieder abzuschieben.

In diese Situation der Gewissenserforschung innerhalb der Wiener ÖVP fiel in der vergangenen Woche eine Enquete des Akademikerbundes mit dem vielversprechenden Titel

„Parteienstrategien in der Großstadt — Aufgaben einer Volkspartei“. Die Leitlinien für die Grundaussagen dieser Veranstaltung waren allerdings schon lange vor der hitzigen Diskussion um die Bundespräsidentenwahl erarbeitet worden.

In einem Referat wies einer der Moderatoren der Enquete, Werner Melis, darauf hin, daß in der Bundeshauptstadt Wien fast ein Viertel der österreichischen Bevölkerung lebe und daß das Wahlverhalten der Wiener Wähler in der Vergangenheit jeden Wahlausgang ausschlaggebend bestimmt habe. Daher komme auch Wien für jede Massenpartei eine zentrale Rolle zu, da Wahlen — egal, ob Nationalrats- oder Bundespräsidentenwahlen — letztlich in Wien gewonnen oder verloren werden. Es sei daher alarmierend, daß die ÖVP in den letzten Jahren gerade in Wien ständig an Terrain verloren hat, obwohl die Bevölkerung laufend von Fehlleistungen oder Skandalen im Bereich der sozial-

s'tisch dominierten Stadtverwaltung erfährt.

Schließlich gibt es den Vorwurf des Mangels an innerparteilicher Demokratie. Bei den sogenannten „kleinen Funktionären“ herrsche der Eindruck vor, die Partei kümmere sich um sie zuwenig und beziehe sie nicht genügend in den Entschei-dungsprozeß ein.

Die Akademikerbund-Funktionäre gaben sich aber nicht mit der Wiedergabe der Kritik an der Wiener ÖVP zufrieden, sie machten auch einige Vorschläge, wobei der erste erwartungsgemäß auf wenig Gegenliebe bei anwesenden „bündischen Funktionären“ stieß. Die reformfreudigen Akademikerbündler traten nämlich gleich für eine Abschaffung der bündischen Gliederung der Volkspartei (Bauembund, Wirtschaftsbund, Arbeiter- und Angestelltenbund) auf Bezirksebene ein. Damit Hand in Hand sollte die verstärkte Betreuung von Bevölke-kerungsteilen gehen, die im Rahmen der derzeitigen bündischen Struktur nicht erfaßt werden, wie etwa Hausfrauen oder Angehörige freier Berufe. , /

Vorgeschlagen werden auch verschiedene Einrichtungen der Mei-nungs- und Willensbildung auf breiter Basis: Bezirksparlamente, Bürgerinitiativen. Außerordentlich wichtig scheint die Erkenntnis, daß ein Großteil der aktiven Bevölkerung nicht an ihrem Wohnsitz, sondern an ihrer Betriebsstätte erfolgreich angesprochen werden kann.

Für die Wiener ÖVP ist auch die Feststellung eines anderen Referenten der Enquete wichtig, daß Kommunalpolitik überwiegend Sachpoli-tik sei und so auf jeden Fall in der Öffentlichkeit eine geringere Resonanz als Grundsatzpolitik habe. Jede Oppositionspolitik müsse auf die Herausarbeitung der Differenzierung zur Regierungspolitik abgestellt sein. Konsens der Opposition mit der Regierung schade stets der Profilierung der Opposition. Viele Thesen zur Öffentlichkeitsarbeit der Volkspartei in der Großstadt wurden zur Diskussion gestellt.

Und der staunende Zuhörer erfuhr aus dem Munde des Landesparteisekretärs der Wiener ÖVP, Fürst, daß die Landespartei bis vor wenigen Jahren überhaupt kein eigenes Budget für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit hatte.

In der Wiener ÖVP scheinen die Uhren wirklich anders zu gehen als in anderen Bundesländern.

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