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Alte, neue Garnituren

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Noch in dieser Woche wird realisiert, worauf schon im Wiener Gemeinderatswahlkampf alle Anzeichen deuteten: die Präsentation einer alleinverantwortlichen SPÖ-Stadtratsfraktion mit acht oder neun Mitgliedern durch Bürgermeister Gratz, die freilich erst am 12. November vom SPÖ-Landesparteivorstand bestätigt werden, wird, und dler Auszug der .Wiener ÖVP aus der Rathauskoalition in die Opposition.

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Noch in dieser Woche wird realisiert, worauf schon im Wiener Gemeinderatswahlkampf alle Anzeichen deuteten: die Präsentation einer alleinverantwortlichen SPÖ-Stadtratsfraktion mit acht oder neun Mitgliedern durch Bürgermeister Gratz, die freilich erst am 12. November vom SPÖ-Landesparteivorstand bestätigt werden, wird, und dler Auszug der .Wiener ÖVP aus der Rathauskoalition in die Opposition.

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Was vor wenigen Monaten noch in beiden Wiener Großparteien als undenkbar gegolten hätte, wird heute von der Wiener Bevölkerung, auch von den meisten Parteifunktionären in beiden Lagern und selbst von gewöhnlich koalitionsinteressierten Gruppen (in der Wiener ÖVP etwa von den Lehrern und den Ärzten), als politische Notwendigkeit toleriert. Wenn sich da und dort noch Kreise gegen das neue Rathaus-Modell wehren, so geschieht das weniger aus politischer Klugheit oder aus eohter Begeisterung für den politischen Konsens in der Kommunalpolitik der Bundeshauptstadt, sondern offenbar aus persönlichen Erwägungen, die nun fast schon ehemalige VP-Stadträtin Maria Schaumayer mag hier nur als Beispiel angeführt werden.

Der Wiener Wahlkampf wäre für alle drei Parteien wahrscheinlich anders verlaufen, hätte es die Wiener ÖVP gewagt, in ihren Äußerungen über den Schatten der Rathauskoalition zu springen. Hätte der VP-Spitzenkandidat Fritz Hahn sagen dürfen, daß das alte Koalitionsmodell im Wiener Rathaus längst überholt ist (denn oft genug deutete er es an), dann hätte es einen Einklang zwischen Werbeslogans und politischen Zielsetzungen gegeben. Man mag geteilter Meinung darüber sein, ob „diese Stadt krank ist“, ein von der Wiener ÖVP festgestelltes „Unbehagen der Wiener“ aber gab und gibt es tatsächlich. Am Willen zur Änderung in der Koalitionsinstitution mag es möglicherweise in der Wiener ÖVP nicht gefehlt haben, an der Effizienz in der Vergangenheit aber sicherlich; und für die Zukunft dürften sich in dieser Frage in breiten ÖVP-potentiel-len Kreisen große Zweifel eingestellt haben. Das ist nur einer der Gründe für die äußerst geringe Wahlbeteiligung bei Wiener Gemeinderatswahlen, die sich bislang immer gegen die Wiener ÖVP-Chancen ausgewirkt hat.

Die Bildung einer alleinverantwortlichen sozialistischen Rathausregierung, aber auch die Neuformie-

rung einer oppositionstauglichen Wiener ÖVP dürfte in beiden Großparteien noch zahlreiche Probleme aufwerfen. Dazu kommt, daß der gesundheitlich arg lädierte FPÖ-Spit-zenkandidat Erwin Hirnschall nach dem Verlust des vierten FPÖ-Mandates in seiner Partei längst nicht unbestritten ist und möglicherweise einem Vertreter des in der Wiener FPÖ sehr starken nationalen Flügels wird weichen müssen.

Für den sozialistischen Bürgermeister Gratz geht es um die Präsentation einer in vielen Belangen tauglichen Stadtratsgarnitur, die vor allem widerspiegeln soll, daß Gratz es mit seinen Reformvorstellungen ernst meint. Wie es heißt, sind in der sozialistischen Parteiorganisation mächtige Gruppen um Parteiobmann Probst rege, .verdiente' Funktionäre in den Stadtrat zu hieven. Bei Stadtrat Hoffmann, der Kultur-stadträtin Sandner-Fröhlich, bei den Stadträten Nekula, Pf och und Sutt-ner dürften die Bemühungen des Parteiapparates von Erfolg begleitet sein. Somit hätte Bürgermeister Gratz (je nachdem, ob es acht oder neun Stadträte geben wird) nur den recht kleinen Spielraum für die Neubesetzung von zwei oder drei Stadtratsressorts. Dafür bieten sich Prof. Matzner für die Planung, der Mediziner Rockenschaub für das

Gesundheiteressort und wahrscheinlich ein Favoritner Parteifunktionär für die Besetzung des Wohlfahrte-ressorte an. Das von der Wiener ÖVP so heftig kritisierte „Rathaussystem“ bliebe damit das alte; die Glaubwürdigkeit Bürgermeister Gratz' hätte fürs erste arge Einbußen erlitten. Da es ihm nach der wahrscheinlichen Wahl zum Wiener SP-Vorsitzenden im kommenden Frühjahr schwer fallen dürfte, eine von ihm gewünschte Stadtratsumbildung durchzusetzen, spricht vieles dafür, daß Gratz auch in die nächste Wiener Gemeinderatswahl im Jahr 1978 mit der alten Garnitur wird ziehen müssen.

In der Wiener ÖVP dürfte die Wahl von Fritz Hahn zum Klubobmann und zum dritten Landtagspräsidenten unbestritten sein. An der Wahlniederlage — und das hat man nun auch in der Wiener ÖVP erkannt — trägt Hahn die geringste Schuld. Im Gegenteil: er rettete noch, was zu retten war. Er dürfte schon vom Naturell und seinem großen kommunalpolitischen Wissen her auch die ideale Besetzung für die Rolle des Klubobmannes und Oppositionsführers sein. Aus der alten Stadtratsfraktion dürfte Frau Schaumayer auf jeden Fall ausscheiden. Stadtrat Krasser dürfte ein ähnliches Schicksal erleiden, und für Gesundheitsstadtrat Glück scheint die politische Karriere überhaupt beendet zu sein. Möglicherweise erhält Wirtschaftsstadtrat Pelzelmayer die Funktion eines kontrollierenden Stadtrates zugeordnet. Von den drei oder vier kontrollierenden Stadträten, die die ÖVP im Rathaus besetzen wird, stehen Klubsekretär Goller, aber auch Gemeinderat Lehner praktisch fest. Gewisse Aussichten auf die Funktion eines kontrollierenden Stadtrates gibt man auch den Gemeinderäten Mayr und Drenning.

Mit der Neuformierung der Rathausgarnitur dürften für die Wiener ÖVP aber noch nicht alle personellen Probleme gelöst sein. Ziemlich sicher ist der Abgang von Matthias Glatzl als Landesparteisekretär. Für den Fall des Einzugs von Klubsekretär Goller in den Stadtrat wird die Stelle eines Klubsekretärs vakant, für die der kommunalpolitische Referent der Bundesparteileitung, Hawlik, im Gespräch ist. Gewisse Aussichten räumt man1 freilich auch Propagandachef Anton Fürst ein.

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