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Der dritte Mann

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Vom Frühjahr 1969 bis zum Ende des Jahres 1970 wirkte Bruno Marek als Bürgermeister von Wien, ihm folgte der langjährige Stadtrat für das Finanzwesen Felix Slavik nach und am 5. Juli tritt Leopold Gratz, zuletzt Obmann des sozialistischen Parlamentsklubs, das Amt des Wiener Bürgermeisters an. Der dritte Mann an der Spitze des Rathauses in einer einzigen Legislaturperiode wird so gut wie keine Gelegenheit haben, seine kommunalpolitische Tauglichkeit unter Beweis zu stellen, wird er doch bereits einen Tag nach seiner Angelobung den Gemeinderat auflösen und Neuwahlen für den Wiener Gemeinderat, beziehungsweise Landtag, am 21. Oktober ausschreiben.

Nunmehr wird auch einiges von dem bekannt, was der Berufung von Leopold Gratz vorausging. Eine falsche Einschätzung der Wiener SPÖ, ihrer Spitzenmandatare im Rathaus und des Unbehagens in Wien verführte das Mißerfolgs-Duo Slavik-Probst bei der sogenannten Sternwarte-Volksbefragung, alles auf einen Sieg zu setzen — und prompt zu verlieren.

Zu diesem Zeitpunkt, Ende Mai 1973, legte IFES-Direktor Blecha dem Bundeskanzler das Ergebnis einer Meinungsumfrage vor, wonach die SPÖ in Wien bei einer sofort stattfindenden Wahl mit Felix Slavik an der Spitze rund 15 Mandate und damit auch die absolute Mehrheit verloren hätte.

Der Ernst der Situation veranlaßte Bruno Kreisky, rasch zu handeln und intern klarzustellen, daß Felix Slavik an der Spitze auszutauschen sei. In der SPÖ-Rathausgarnitur bot sich für ihn und den Parteiapparat kein geeigneter Ersatz an; zu sehr sind die Stadträte Pfoch, Heller, Nekula, Hoffmann, Jacobi und selbst Sandner-Fröhlich dem „System Slavik“ verhaftet, einem System, in dem geradezu unglaubliche Korruptionsverdächtigungen, schwer durchschaubare Transaktionen, falsche Planungsvorhaben an der Tagesordnung waren. Da Bruno Kreisky aber anderseits seine Regierung nicht umbilden wollte, konnte er auch auf seinen Handelsminister Staribacher nicht verzichten. Schließlich fiel seine Wahl auf Leopold Gratz, 43, einen Politiker, dem Parteifreunde nachsagen, daß er in sedner Partei schier für alle Funktionen in Frage komme.

Leopold Gratz ist ohne Zweifel ein urbaner Typ; ein Mann mit Umgangsformen, Stil und Kultur. Er versteht sich aufs ,gute Leben“, pflegt Umgang mit Künstlern, Intellektuellen, und nicht nur der sozialistischen „Gesellschaft“. Im sozialistischen Zentralsekretariat, im Parlament, die kurze Zeit an der

Spitze des Unterrichtsressorts und später als Obmann der sozialistischen Parlamentsfraktion fiel er immer wieder als kluger Beobachter der politischen Szene und als glänzender Analytiker politischer Situationen auf.

Es wird abzuwarten sein, wie sich ein mit solchen Eigenschaften ausgestatteter Gratz in Wien bewähren wird. Hier ist es dem „dritten Mann“ in dieser Legislaturperiode aufgetragen, fortan als erster Mann zu bestehen, in der Wiener SPÖ-Organi-sation für bestimmte Ideen zu kämpfen, eine neue kommunalpolitische Phase einzuleiten und — nicht zuletzt — Wiener Partei und Wiener Rathaus von gewissen „Sumpfblüten“ zu säubern. Es würde der Glaubwürdigkeit Gratz' gewiß dienen, wenn er schon in seiner ersten Rede als Wiener Bürgermeister am 5. Juli in dieser Richtung feste Zusagen machen könnte. Diese Zusagen würden auf einen teilweisen Austausch der sozialistischen Stadtrats-Fraktion, einer Offenlegung der Planungsunterlagen im Wiener Rathaus, einer definitiven Festlegung auf die Demokratisierung der Wiener Stadtverfassung, einer Prüfung des Bauvorhabens der zur größeren Ehre Slaviks zu errichtenden Donauinsel hinauslaufen. Nimmt Leopold Gratz zu diesen Fragen am 5. Juli eine glaubwürdige Haltung ein, gibt er an Daten gebundene fixe Zusagen ab, dann könnte er der Wiener ÖVP einiges an Munition aus dem schon gespannten Gewehrlauf holen (siehe unser Interview mit dem ÖVP-Spitzenkandidaten Hahn).

Wer nun aber die verworrene Situation im Wiener Rathaus und in der Wiener SPÖ zu kennen glaubt, ahnt, wie schwer es Gratz mit einem solchen modernen Kurs in Wien haben wird. Darüber hinaus dürfte der auf seina Weise ebenfalls systemverpflichtete Leopold Gratz weder auf Grund seiner Persönlichkeitsstruktur noch auf Grund von Auflagen, die er dem Wiener SPÖ-Obmann Probst für den Fall seiner Nominierung zum Wiener Bürgermeister gegeben haben soll, nicht der härteste Kämpfer sein.

Dennoch sollte nach den ersten Enttäuschungen über Äußerungen von Gratz kein Stab über die Fähigkeiten des designierten Wiener Bürgermeisters gebrochen werden. Möglicherweise wächst er in den nächsten Wochen und Monaten aus seiner Persönlichkeitsstruktur hinaus und beweist so, daß ein Nachfolger von Felix Slavik trotz gegenteiliger Äußerungen nicht auch notwendigerweise ein Vollender von dessen Kommunalpolitik zu sein braucht.

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