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Zwischen Wien und Berlin liegen Welten

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Um das Vertrauen der Berliner Bevölkerung nach einem Bürgerschaftsskandal rund um einen Bauunternehmer in seine politische Führung wieder herzustellen, hat das Abgeordnetenhaus der geteilten Stadt am 16. März einstimmig seine vorzeitige Auflösung und Neuwahlen am 10. Mai beschlossen.

Dies, so erklärte der neue regierende Bürgermeister Hans-Jochen Vogel, entspreche dem Willen der gesamten Bevölkerung. Dabei ist allen drei Fraktionen klar, daß sich die politischen Kräfteverhältnisse im Abgeordnetenhaus mit dem Wahltag erheblich verschieben können.

Da trennen Berlin und Wien nicht nur 1049 Straßenkilometer, da liegen Welten dazwischen.

Auch wenn ein Mann wie Bruno Kreisky von seinen Wiener Parteifreunden „weitreichende Konsequenzen“ fordert: Leopold Gratz zieht sie nicht.

Dies ist ein deutliches Zeichen von Schwäche, die heute schon jeder spürt. Wer nimmt denn dieser Wiener Stadtregierung jetzt wirklich noch ab, daß sie, so wie sie ist, die Dinge in Ordnung bringen, den AKH-Skandal bereinigen wird und kann?

Das Vertrauen der Wiener, auch das vieler Wiener Sozialisten, in ihre Stadtregierung ist erschüttert.

Leopold Gratz hat schon recht, wenn er meint, daß durch Personalkosmetik nichts gewonnen wäre. Wie recht er hat! Es muß sich nämlich nach diesem AKH-Skandal in Wien weit mehr ändern. Und zwar rasch.

Am 27. März wird sich der Wiener Gemeinderat mit dem neuen Kontroll- amtsbericht auseinandersetzen. In dieser Sitzung wird die ÖVP Neuwahlen zum frühestmöglichen Zeitpunkt, also für den 24. Mai, beantragen.

Die SPÖ hat bereits angekündigt, daß sie diesen Antrag ablehnen wird. Sie sollte sich das nochmals ernsthaft überlegen. Ist es wirklich schlimm, ein paar Mandate zu verlieren, wenn man damit neues Vertrauen gewinnen kann?

Die Wiener Gemeinderäte sollten ruhig den Blick über den eigenen Zaun nach Berlin riskieren. Was Sozialdemokraten dort Für richtig erachten, kann auch in Wien so falsch nicht sein.

Und dort empfindet man es als Ausdruck der Stärke, wenn ein Parlament in einer solchen „weitverbreiteten Stimmungslage“ des Mißtrauens seinen Auftrag vorzeitig an die Wähler zurückgibt und um neues Vertrauen bittet.

Nur. In Wien bittet man eben nicht. Da ist man Hausherr, der zwar wegen Kleinigkeiten mit vorzeitigen Wahlterminen jongliert, sonst aber dem Bürger keine Wahl läßt.

Zum AKH-Schaden kommt dann auch noch der Spott. Denn die Wiener Bevölkerung, so die offizielle SPÖ- Aussendung nach der Krisensitzung des Wiener Parteivorstandes am 23. März, nehme die Leistungen der Stadtverwaltung positiv zur Kenntnis.

Wer den Mut zu einer derartigen anmaßenden Behauptung aufbringt, von dem muß man erst recht erwarten, daß er auch den Mut hat, dem Wähler die Vertrauensfrage vorzulegen.

Gratz hat die Sorge geäußert, „daß die Menschen so langsam das Gefühl haben, es sind alle Gauner, es ist ohnehin egal, wenn man sich engagiert“.

Gratz ist drauf und daran, die Menschen in ihrem Gefühl zu bestärken.

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