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Die „Partei der Nichtwähler” soll nun mobilisiert werden

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Von „Nichtwählern” will die Wiener Volkspartei nichts hören und auch nicht darüber sprechen. Günstige Ergebnisse von Meinungsumfragen belegen ein steigendes Interesse dieser Gruppe an Erhard Buseks Wiener ÖVP. Sollten die in den letzten Monaten erheblichen Absatzbewegungen der Wiener Stimmbürger von der SPÖ auch in Zukunft anhalten, dann müßte sich die politische Struktur der Wiener „Nichtwähler” (immerhin die zweitgrößte politische „Partei” in der Bundeshauptstadt) am Wahltag im Oktober 1978 stark verändert haben. Denn derzeit herrscht auch unter den notorischen Wählern der Wiener Sozialisten Verdruß über die Rathaus-Politik.

Der Gewöhnungseffekt kostete Leopold Gratz zahlreiche Sympathie-Prozente, seine Entscheidungs- Unlust schaffte in den letzten Monaten bis tief in die sozialistischen Stammwählerschichten hinein großen Ärger. Dieser Ärger geht freilich vorläufig nur so weit, mit dem Gedanken, am nächsten Wahltag überhaupt nicht zu wählen, zu liebäugeln. Heute schon gehört es auch unter prominenten der SPÖ nahestehenden Persönlichkeiten zum guten Ton, die Wiener SPÖ des Leopold Gratz abzulehnen. Hier kündigt sich ein neues Reservoir an „Nichtwählem” in Wien an.

Erhard Buseks Strategie zielt darauf ab, die von der Wiener SPÖ geschürte politische Apathie in Wien zu überwinden. Wie nie zuvor glänzt die Wiener ÖVP in den Bezirken mit politischer Aktivität Zum Entsetzen der SP-Bezirksvertretung werden in Wien-Alsergrund Bäume gepflanzt wurde in Mariahilf ein Bezirkszentrum für Senioren eröffnet, ein Seniorencafe eingeweiht, wird der Ausbau und die Modernisierung der Spitäler im großen Kreis der Interessierten besprochen, wird die Luftqualität gemessen und werden Maßnahmen zur Lärmbekämpfung vorgeschlagen.

„Das Wichtige zuerst” verspricht Erhard Busek den Wienern auf Plakaten mit dunkelgrünem Hintergrund. Seine wichtigste Aufgabe in den nächsten Wochen und Monaten wird es sein, den Aktivitätsgeist seiner Funktionäre in den Bezirken weiter zu schüren. Gelingt es ihm auch noch, die .Bezirksmandatare zu bewegen, in wichtigen Sprengeln und Sektionen die Wähler persönlich aufzusuchen, sie nach ihren Wünschen und Vorstellungen zu befragen, so dürfte er auch eine wichtige Schlacht gegen die politische Apathie gewonnen haben.

Die Wiener Sozialisten reagieren auf Erhard Buseks Kampf um Wien deutlich spürbar nervös. Erst jetzt hat man in Wien eine Meinungsumfrage (IFES) in Auftrag gegeben, die die politische Interessenlage der Wiener erheben sollte. Offensichtlich hat die steuermittelverschlingende „Mitbestimmungsaktion” des Rathauses nichts gebracht. In der Parteizentrale werden derzeit fast schon jede Woche werbestrategische Konzepte ent- und verworfen. Landesparteisekretär Ed- linger drängt es in den Stadtrat, wo ebenfalls ein heftiger Kampf ums politische Überleben tobt.

Gesundheitsstadtrat Stacher ist amtsmüde; Finanzstadtrat Mayr befindet sich im Clinch sowohl mit den orthodoxen als auch mit den jungen Marxisten; Vizebürgermeister Pfoch bereitet seine Abdankung vor; Bau- städtrat Böck wollte ohnedies nie ins Rathaus, nun weiß er auch warum; der intime Kenner so vieler heimischer Parteien, Stadtrat Wurzer, beweist in der Praxis, daß es zum politischen Erfolg mehr braucht als den Verschleiß von Parteibüchern; Vizebürgermeister Sandner-Fröhlich und Stadtrat Schieder tragen einen stillen Kampf um die Gratz-Nachfolge im Rathaus aus.

Denn daß Leopold Gratz schon lange Wien-müde ist, kann selbst sein Pressereferent Rauscher schwer verhehlen. Sein Drang zu höherem lähmt seine ohnedies unterentwickelte Entscheidungskraft zusätzlich. Das nehmen ihm in Wien auch jene SP-Funk- tionäre übel, die finden, daß er als Wiener Bürgermeister wenigstens att- raktiv ist.

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