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Skandale und kommunale Poesie

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In 33 Minuten hatte Leopold Gratz den Text seiner Antrittsrede als Bürgermeister der Stadt Wien im Rathaus verlesen. So glänzend er als Rhetoriker wirkte, so farblos blieb er, begreiflicherweise, im Sachlichen. Ein bißchen Perikles, ein bißchen Mitscherlich, ein bißchen Sozialismus, wenige Zielsetzungen: Die Verlebendigung der Demokratie in Wien wurde abstrakt abgehandelt, Bäume sollen in Wien keine mehr gefällt werden, Wiens Umwelt soll geschützt werden.

Die vom ÖVP-Spitzenkandidaten Fritz Hahn aufgestellten „Zehn Grundsätze für ein lebenswertes Wien“ blieben unbeantwortet. Daraus muß leider geschlossen werden, daß Wien auch in den nächsten Jahren ohne Investitions- und Finanzierungskonzept auskommen will, daß das Problem einer „sozialeren Kommunalpolitik“ weiterhin unbeachtet bleiben wird, kurz: daß das Wien des neuen Bürgermeisters Leopold Gratz auf den Spuren eines Marek, eines Slavik, der SPÖ-Gemeinderatsfrak-tion wandeln wird. Enttäuschung darüber fand in der „Kronen-Zeitung“ und im „Kurier“ statt.

Bedrückend aber war, daß dem neuen Bürgermeister zum Thema Korruption und Finanztransaktionen nichts einfallen wollte. Noch am Abend der Bürgermeisterrede deckte der aus Osttirol stammende VP-Ge-meinderat Goller eine Ungeheuerlichkeit auf, die — auch für Wiener Verhältnisse — alles, was bisher an Skandalen geschah, in den Schatten stellt. Der gemeindeeigene „Bauring“, einst für die Zwecke des kommunalen Wohnbaus in Wien^ gegründet, baut seit 1971 in Saudi-Arabien einen Militärflughafen einschließlich zwölf bombengeschützter Hangars für Jagdflugzeuge und eines Bombenzielwurfgeländes mit Schutztürmen für die Beobachter. Von diesem Militärflughafen aus sollen Kampfziele in Israel angeflogen werden. Der Fixpreis dieser Militärgroßanlage beträgt 720 Millionen Schilling, wovon der „Bauring“ 160 Millionen Schilling an Provisionen an einen arabischen Geschäftsmann zu bezahlen hat. Die militärische Anlage wurde von der Zentralsparkasse vorfinanziert. Das Geschäft dürfte nach Angaben des sozialistischen Stadtrates und Aufsichtsratsvorsitzenden des „Baurings“, Reinhold Suttner, mit Verlusten enden, so daß als Fazit bleibt: Wiens Steuerzahler finanzieren den Krieg der arabischen Staaten gegen Israel.

Zu diesem Skandal, der die Aufrichtigkeit der österreichischen Neutralitätspolitik ebenso wie die ami-kale Haltung der Österreicher zum Staat Israel, nicht zuletzt aber auch die Rolle Otto Probsts als Präsident der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft in Frage stellt, fiel dem SPÖ-Stadtrat Suttner nichts anderes ein als die Feststellung, daß „Geschäfte nicht unter dem Gesichtspunkt einer politischen Philosophie“ geführt werden dürfen. Am Abend des gleichen Tages sprach man im Rathaus von „Verleumdungen der ÖVP“.

Es ist beängstigend, in welchem Maß sich in Wien Skandale, Korruption und undurchsichtige Transaktionen mit der sozialistischen Kommunalpolitik verfilzt haben. Es ist beängstigend, was hier alles gedeckt wird. Es ist beängstigend, wie tief die politische Moral in der Führung und Verwaltung der Bundeshauptstadt notiert. Und das Beängstigendste vielleicht ist dies: da kommt ein neuer Mann, der kluge Worte über die Demokratie geschrieben hat, ein Mann, der Hoffnungen erweckt. Und diesem Mann fällt zur Finanzierung des arabischen Kampfes gegen Israel nichts ein.

Wer nach all dem, was in Wien am Ende der vorangegangenen Woche geschah, noch an der Fiktion vom unfehlbaren Volkssouverän, der stets und ausschließlich von seinem Gewissen geleitet wird, festhält, ist naiv und ein Totengräber wahrer Demokratie. Der jüngste Skandal ist längst nicht mehr allein die Angelegenheit Wiens und der Wiener. Dieser Skandal muß im Parlament diskutiert werden. Und zwar unter allen Gesichtspunkten, insbesondere aber jenen der politischen Moral und der Neutralität unseres Landes.

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