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„Alte Nazis müssen nicht dabei sein”

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„DE TELEGRAAF” (Hans Knoop): „Herr Minister, Simon Wiesenthal wirft Österreich vor, daß es die Verfolgung und Bestrafung der Kriegsverbrecher vernachlässige.”

GRATZ: … „Ich möchte offen zugeben, die Beschwerden sind berechtigt. Und ich zögere nicht, zu sagen, daß die Strafen auch meiner persönlichen Meinung nach nicht streng genug sind… In zwei Fällen hat der Oberste Gerichtshof eingegriffen und einen Freispruch aufgehoben.”

„DE TELEGRAAF”: „Stimmt es, daß gleich mehrere Mitglieder der österreichischen Bundesregierung in der Vergangenheit Nazis waren?” * ‘%] ys

GRATZ: „Es gibt kein Mitglied der Bundesregierung, das einstens der NSDAP angehört hat. Allerdings haben zwei Regierungsmitglieder einer sogenannten Zweigorganisation der NSDAP angehört.”

„ELSEVIER” (Jules Huf): „Darf ich Sie korrigieren, Herr Minister? Nach meinen Aufzeichnungen haben von den 15 Wiener Regierungsmitgliedern gleich fünf eine nazistische Vergflngenheit — vier waren Mitglieder der NSDAP. Darf ich Ihnen diese Namen mit den Mitgliedsnummern vorlesen: Der Landwirtschaftsminister Oskar Weihs ist am 1. August 1932 in die Nazi- Partei eingetreten und hat die Mitgliedsnummer 1,089.867 bekommen (er ist 1934 ausgetreten und hat am 23. Mai 1938 neuerlich um Aufnahme nachgesucht …); der Innenminister Otto Rösch ist nach dem Anschluß Österreichs in die NSDAP eingetreten und hat die Mitgliedsnummer 8,595.796; der Bautenminister Josef Moser am 1. Mai 1938, Mitgliedsnummer 6,269.837; und der Benjamin unter diesen Herren, der Verkehrsminister Erwin Frühbauer, ist am 20. April 1944 — als andere Nazis schon eine jüdische Großmutter suchten

— zur Partei gegangen, Mitgliedsnummer 10,035.793. Sie selbst waren nicht Mitglied der NSDAP, weil Sie zu jung waren. Sie haben nur eine Nationalpolitische Erziehungsanstalt — vergleichbar etwa den Kaderschulen Moskaus

— besucht… Dies alles nur zu Ihrer Information. Sie haben von zweien gesprochen. Es waren vier.”

GRATZ: „Ich kann nur sagen: Ich habe Ihre Dossiers nicht. Wenn Sie das in Wien wiederholen, können wir es verifizieren.” „ELSEVIER”: „Was heißt wiederholen? Ich werde es Ihnen geben.”

GRATZ: „Bitte!”

„NRC-HANDELSBLAD” (van der Meulen): „Was sagen Sie heute über die vorjährigen Proteste gegen die Ernennung des Landwirtschaftsministers öllinger?”

GRATZ: „Wir verstehen, daß alle, die einstens unter dem Naziregime gelitten haben, gegen diese Nominierung protestieren …”

„HET PAROOL”: „Sehen Sie ein, daß es nicht klug war, einen alten SS-Obersturmführer (gemeint ist FPÖ-Obmann Peter; Anmerkung der Redaktion) in der Unterrichtsdelegation nach Holland mitzunehmen?”

GRATZ: „Ich glaube, hier muß man konsequent sein. Wenn jemand keine Kriegsverbrechen begangen hat, wenn jemand 25 Jahre lang durch Reden und Taten gezeigt hat, daß er sich : zu einem Demokraten’ verändert jhat, dann darf er in ■ der österreichischen Innenpolitik jede Funktion bekleiden. Dann ist es aber auch für den österreichischen Staat und für einen Minister ausgeschlossen, zu sagen: Dieser Mann kann in Österreich alles werden — auch Parlamentarier, auch Vorsitzender der zweiten Oppositionspartei, aber in ein bestimmtes Land kann er nicht fahren.” „HET PAROOL”: „Aber könnte man nicht auch sagen, daß die begreifliche holländische Empfindlichkeit berücksichtigt werden müßte?” y

GRATZ: „Man könnte es sagen.” „HET PAROOL”: „Aber Sie sagen es nicht.”

GRATZ: „Ich selber nicht.” „ELSEVIER”: „Finden Sie es richtig, daß 25 Jahre nach Kriegsende in einem befreiten Land — Österreich ist befreit, Deutschland besiegt und besetzt — fast ein Drittel der Regierungsmitglieder ehemalige Nazis sind? Österreich hat unter den Nazis sehr gelitten. Es hat 200,000 oder 300.000 Menschen verloren. Die Konzentrationslager waren gefüllt auch mit österreichischen Sozialdemokraten. Warum also, ich wiederhole, müssen heute in der SPÖ-Regierung unbedingt vier alte Nazis sitzen, die sich auf die andere Seite schlugen, als ihr Land in Todesnot war?”

GRATZ: „Ihre Frage .Müssen vier oder fünf dabei sein?” ist vollkommen richtig. Sie müssen nicht dabei sein.”

„ELSEVIER”: „Aber sie sind.” GRATZ: „Wir haben 1970 versucht, die sachlich besten Leute zu finden. Echte Fachleute.” „ELSEVIER”: „Hat das Ministeramt nicht auch etwas mit Würde zu tun? Ist es nicht primär eine Sache der Würdigkeit?”

GRATZ: „O ja.”

„HET PAROOL”: „Halten Sie die Atmosphäre des Besuchs für verdorben, weil das holländische Parlament die Delegation nicht empfängt?”

GRATZ: „Daß die Atmosphäre nicht besonders angenehm ist, das ist nun sicher kein Geheimnis mehr …”

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