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Kreisky-Dämmerung

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Der größte Staatsmann aller Zeiten hat es schwer: Das österreichische Volk ist seiner nicht wert. Das ist an sich natürlich sehr schlimm, denn wie kann man ihm ein Ja verweigern, das er so dringend wünschte? Aber um die ganze Atomabstimmung drohte eine noch viel schlimmere, geradezu weltpolitische Katastrophe, sagte doch Bruno Kreisky am 22. 10. 1978 wörtlich:

„Ich möchte nicht sagen, daß ich sicher nicht zurücktrete, wenn die Atom-Volksabstimmung mit Nein ausgeht.“ Naive Gemüter wie ich dachten, daß das, weniger um die Ecke formuliert, etwa heißt: „Ich

möchte sagen, daß ich vielleicht zurücktrete, wenn...“ Und ich meine, daß recht viele es so verstanden.

Es kam mir - ich gestehe es reumütig - die verkommene Idee, daß hier bei einem eventuellen Nein eine jener Schmierenkomödien in Szene gesetzt würde, die wir schon einige Male in der Weltgeschichte erlebten. Ich bin zu wenig Historiker, aber ich zweifle nicht, daß schon irgendein römischer Politiker diese Show abgezogen hat. Und Shakespeare gestaltete sie in „Richard III.“. In neuerer Zeit kennen wir sie von Ägyptens Präsident Nasser, der nach einem verlorenen Kriege gegen Israel erklärte, allein die Schuld daran zu haben, ganz allein, und nun zurückzutreten. Aberais ihm alle Liebe seines Volkes in seinem tiefsten Unglück zuflog, konnte er die Verantwortung nicht zurückweisen, dieses Volk nicht alleine lassen. Er ließ sich erweichen und er blieb.

Und dann - wir Österreicher haben einen Sinn für Einmaligkeiten - stürzte hinterhältig die Reichsbrücke ein. Falten voll Gram im Gesicht, bot Gratz seinen Rücktritt an. Aber als man ihm dann rührend Geld für eine neue Brücke schickte und ihn die Liebe des Wiener Volkes umbrandete, da konnte er nicht anders, er mußte “bleiben.

Nein: Sollte dieser Dreh auch vom größten Staatsmann aller Zeiten praktiziert werden: Nein,

bei ihm, bei ihm war es ehrlich! Wie Viktor Reimann schrieb: Für so etwas ist er zu groß. Viel zu groß.

Und dann wurde das Unmögliche wahr. Nicht nur die Juden, auch die Österreicher erwiesen sich als ein „mieses Volk“. Es erwies sich als viel zu klein. Aber nicht alle waren so böse und minderwertig. Es gab noch anständige Menschen.

An die wird er gedacht haben, als er auf eine unverschämte Frage nach seinem Rücktritt nunmehr sagte: „Ich habe auch eine solche Möglichkeit nicht ausgeschlossen, wenngleich ich nicht erklärt habe, daß ich diesen

Schritt erwäge.“ Er hat also daran gedacht, aber nichts erwogen. Und als sich der Parteivorstand wie einst die Nibelungen in Etzels Burg düster versammelte, hatte er schon aus allen Schichten der Bevölkerung - auch reumütiger Neinsager-rührende Beweise von Treue und Liebe erhalten. Es gab in diesem Sodom und Gomorrha der Neinsager doch noch einige Gerechte. Konnte man die alleine lassen? Nein!

Kronprinz Leopold Gratz, der die Situation aus eigener Erfahrung kannte, bat ihn im Namen der anständigen Österreicher, um Gottes Willen zu bleiben. Mit seinem Hang zum Untertreiben erklärte Gratz, der Kanzler wäre wichtiger als Zwentendorf.

Ich bin der Meinung, der Kanzler ist wichtiger als zwei, drei Zwentendorf er. Gratz, der nur als Planet um die Sonne Kreisky kreist, ist nicht so hoch einzuschätzen. • Aber eine bis drei Donaubrücken ist er schon wert, je nach der Intensität der Verehrung.

Es erhebt sich die Frage, wieviel Lateinbücher Sinowatz, wieviel Spitäler Leodolter, wieviel Hektar Zückerrübenland Haiden wert sind.

Nunmehr ist Kreisky Alleinherrscher in der SPÖ. Ja, auch die alten Römer hatten während des Krieges einen Diktator. Und wenn die Hunnen um Etzels Burg lagern, braucht man so etwas.

Im übrigen brauchen wir uns nicht um Licht in Österreich zu sorgen. Denn in Österreich gibt es zwei Sonnen. Jene, die regelmäßig auf- und untergeht, und Kreisky, der Tag und Nacht Österreich überstrahlt. Er macht die Sommer wärmer und die Winter erträglich. Durch ihn strahlt Österreich über die Kontinente.

Warum war er so kleingläubig und wollte Zwentendorf anheizen? Man muß das verstehen. Denn wenn er dereinst einmal, in vielen Jahren, sich nach Mallorca begibt und so Spaniens Boden heiligt: Ja, dann soll doch auch noch etwas Licht und Wärme in Österreich bleiben. Und darauf haben diese Österreicher nun verzichtet!

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