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Atomkrieg um Wählerstimmen
Als ORF-Redakteur Rudolf Nagil-ler am Sonntag ÖVP-Obmann Josef Taus vorhielt, seine Partei und auch die Sozialisten seien in ihrem Verhalten in der Kernenergie-Diskussion „wahltaktisch determiniert“, sah man förmlich die zustimmend nickenden Köpfe der vor den Fernsehern sitzenden Österreicher. Weite Kreise der Bevölkerung ahnen bereits, was ihnen im kommenden Jahr blüht: Eine Wahlauseinandersetzung, die im Zeichen des Atom-Streits stehen wird.
Das Verhalten der Sozialisten ist in der Frage Zwentendorf vielschichtig wie noch nie: Für praktisch jede mögliche Variante haben sie eine politische Aussage parat: Ein Ja der Gewerkschaft; ein selbstsicheres Bekenntnis des Kanzlers, gegebenenfallls allein zu entscheiden; ein Plädoyer fürs Zuwarten („Denkpause“) durch den Klubobmann; schließlich die Ansicht der Kronprinzen, eine Inbetriebnahme von Zwentendorf komme nur gemeinsam mit der ÖVP in Frage.
Eine ganze Partei schwankt „wie ein
Rohr im Wind“ (Taus), nicht nur der Kanzler.
Der politische Bauchladen der Volkspartei hat zwar nicht ein ganz so buntes Sortiment feilzubieten, doch ist die Frage wiederum in der mangelnden Kennzeichnung ihrer Waren nicht
überbietbar: Was die große Oppositionspartei wirklich will, ist weithin unklar.
Ja ja, es gibt freilich eindeutige Parteibeschlüsse, wonach eine Reihe von Punkten vor der Inbetriebnahme Zwentendorfs noch erfüllt werden muß; abgesehen davon aber scheint die ÖVP einem grundsätzlichen Ja zu neuen Technologien zuzuneigen. Doch: Ob die Wähler das auch wissen? Man
sollte sich direkt einmal den Spaß machen, wahllos Leute auf der Straße zu fragen, was die Sozialisten, was die Volkspartei in der Atom-Frage zu sagen haben.
In der TV-Diskussion am Sonntag sprach Josef Taus generell von der
Notwendigkeit, den Bürgern mehr Gelegenheit zur Mitsprache in der Politik zu geben. Auch in der Kernenergie-Debatte sollte das so sein, meinte Taus, und wies darauf hin, daß ein mehr an Mitsprache nur durch verbesserte Information der Bürger denkbar sei. .
Nun muß sich Taus aber einige Fragen gefallen lassen: Verfügen alle 183 Nationalratsabgeordneten über die notwendige Information und das er-
forderliche Wissen, um in der Frage Zwentendorf zur Abstimmung schreiten zu können? Oder genügt im Hohen Haus allenthalben noch der gute alte Klubzwang? Ferner: Hat die ÖVP versucht, in breiter Form Informationen unter das Volk zu bringen?
Schließlich und vor allem: Wenn Josef Taus für eine Mitsprache der Bevölkerung in der Atomfrage ist, warum hat er dann in der TV-Diskussion nicht die Abhaltung einer Volksabstimmung oder Volksbefragung aufs Tapet gebracht? Sicherlich müßten die plebiszi-tären Elemente unserer Verfassung für diesen Zweck noch ausgebaut werden, doch die Linie der ÖVP wäre dann über alle Zweifel erhaben.
So aber bleibt den Österreichern auch in den kommenden Wochen die längst fällige Klärung erspart. Auch nach dem nächsten Gipfel zwischen Kreisky und Taus werden die Parteien weiter gebannt auf die sich in Österreich formierenden „grünen Listen“ blicken.
Und die Gegend um Zwentendorf bleibt weiterhin im Nebel.
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