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Zoltän Kiräly (40) ist seit 1985 ungarischer Parlamentsabgeordneter. Wegen „Abweichung“ im April aus der KP ausgeschlossen, sucht er Wege zu einer konstruktiven Op-' Position im Parlament.

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Zoltän Kiräly (40) ist seit 1985 ungarischer Parlamentsabgeordneter. Wegen „Abweichung“ im April aus der KP ausgeschlossen, sucht er Wege zu einer konstruktiven Op-' Position im Parlament.

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FURCHE:Sie gelten als eine der charakteristischesten Figuren des ungarischen Parlaments. Auch im Westen werden Sie häufig als „Oppositionsführer“ und sogar als Superstar erwähnt.

ZOLTAN KIRALY: Diese Beurteilung enthält offensichtlich sowohl Anerkennung als auch Kritik. Die Bezeichnung Oppositionsführer nehme ich allerdings an. Aber nicht in dem pejorativen Sinne, wie Opposition bei uns noch verstanden wird. Ich bin aber der Meinung, daß in einem funktionsfähigen Parlament, das die Arbeit der Regierung kontrollieren will, eine konstruktive Opposition einfach unerläßlich ist.

Superstar? Nun, einige meiner Kollegen haben anfangs tatsächlich gemeint, daß ich eine Art Hang zum Auffallen hätte. Dabei habe ich nur mit der Praxis gebrochen, daß die Abgeordneten ihre Meinung bloß in den Sitzungspausen im Flur aussprechen. Ich sage halt meine Meinung vor aller Öffentlichkeit, und ich stehe auch dazu.

FURCHE: Nun ist das ungarische Parlament noch keineswegs eine demokratische Volksvertretung. Wie könnte es denn eine werden?

KIRALY: Praktisch haben wir es da bisher mit den Entscheidungen des Politbüros zu tun gehabt, die wir in Form einer parlamentarischen Debatte beziehungsweise Abstimmung formell bestätigt haben. Dem stehe ich kritisch gegenüber. Eine Volksvertretung kann ich mir im Parlament nämlich nur dann vorstellen, wenn dort alle wirklich pluralistisch auftretenden Interessenunterschiede institutionell aufscheinen.

Das kann freilich auch in Form von Parteien geschehen. Doch ich finde, es geht auch in der Weise, daß wir nicht von Parteien, sondern von Interessenvertretungen in institutionalisierter Form sprechen.

FURCHE: Wie können Sie aber erwarten, daß diese die Spuren des Kädär-Regimes noch so eindeutig aufweisende Körperschaft auf einmal zu demokratischer Öffnung fähig sein wird?

KIRALY: Weil es keinen anderen Weg gibt. Ich gehe davon aus, daß der größte Teil der vom allge-• meinen Fortschritt erfaßten, in ihren Reflexen aber noch von alten Handlungsweisen bestimmten Parteiführung dies schon erkannt hat.

FURCHE: Obwohl die Führung seit Mai eindeutige Zeugnisse ihrer Reformbereitschaft abgelegt hat, kann dies von den mittleren und unteren Apparaten der Partei nicht gerade behauptet werden. Zumal da Dogmatiker und Nutznießer des Systems immer noch in der Mehrheit sind.

KIRALY: Eine unserer größten

Sorgen ist es, daß die auf der Parteikonferenz im Mai (FURCHE 21/1988) begonnene Erneuerung diese Ebenen noch nicht erfaßt hat. Das Manko wird jedoch von den Alternativbewegungen in der Gesellschaft, die bedeutend sind, teilweise ausgeglichen.

Hinzu kommt noch, daß innerhalb der Partei ebenfalls eine Auseinandersetzung im Gange ist. Entschlossenheit und Wille sind vorhanden, es ist aber das alte System der Institutionen, das bremsend wirkt.

FURCHE: Im Sommer haben Sie sich noch entschlossen gegen den Bau des Wasserkraftwerkes von Nagymaros eingesetzt. Nun hört man in der letzten Zeit recht wenig über Ihre diesbezügliche Aktivität. Haben Sie Ihre Meinung geändert?

KIRALY: Nein. Es geht lediglich darum, daß ich mich informieren will. Ich habe auf der jüngsten Parlamentssitzung die Suspendierung der Bauarbeiten vorgeschlagen. Das wurde abgelehnt. Nun suche ich nach einer Kompromißlösung, die jeden zufriedenstellt.

FURCHE: Werden Sie auf der Oktobersitzung für oder gegen das Kraftwerk stimmen?

KIRALY: Ich werde wahrscheinlich überhaupt nicht abstimmen. Denn ins Vorhaben der Regierung will ich gar nicht einsteigen. Dem Parlament soll da nämlich Informationsmaterial unterbreitet und die Abgeordneten sollen aufgerufen werden, darüber abzustimmen, ob sie es nun zur Kenntnis nehmen oder nicht.

Ich für meinen Teil will einen neuen Antrag auf Suspendierung der Bauarbeiten stellen. Die nunmehr auch vor der Öffentlichkeit stattfindende Diskussion hat eine Situation zur Folge, in der nur das ganze Land über diese Frage entscheiden kann.

FURCHE: Wollen Sie bei den 1990 fälligen Wahlen wieder für einen Landtagssitz kandidieren, und wenn ja, in welchen Farben?

KIRALY: Natürlich möchte ich mich aufstellen lassen. Von meinen Wählern habe ich bereits nach meinem Parteiausschluß im April dieses Jahres Ermunterung und Unterstützung erhalten.

In welchen Farben? Das weiß ich noch nicht. Ich sage Ihnen ehrlich: Auch als Parteimitglied habe ich mich stets als unabhängiger Abgeordneter gesehen. Ich war immer bestrebt, mich von der Unsinnigkeit der starren Parteibindung zu befreien. Der Auftrag, den ich vbm Wähler erhalte, wird für mich auch in Zukunft entscheidend sein. Priorität hat im Moment für mich der unabhängige Status.

FURCHE: Würden Sie in einer demokratisch gewählten Regierung den Posten eines Ministers übernehmen?

KIRALY: Nicht unbedingt. Für meine Person könnte ich mir viel mehr den Posten eines Sprechers für staatsbürgerlicheRechte vorstellen.

Das Gespräch führte Gabor Kiszely.

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