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Atomstrom an der Enns

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Fast genau auf den Tag vor einem Jahr ist der Streit um ein erstes österreichisches Kernkraftwerk mit voller Härte entbrannt. Der Gegensatz forcierter Wasserkraftausbau gegen Kernenergie brach plötzlich und mit allen Emotionen aus, die bei Fachdiskussionen möglich sind. Vor allem Generaldirektor Hinter-mayr von der Verbundgesellschaft versuchte damals, den Bau eines Atomkraftwerkes um zwei Jahre zurückzustellen, um einen rascheren Ausbau der Donau gewährleisten zu können. Sein großer Gegenspieler war der Generaldirektor der Newag, Gruber, der sich vehement für die sofortige Verwirklichung des Atomprojekts einsetzte.

Schließlich hat sich doch die Mehrheit der Elektrizitätsversorgungs-untemehmen auf die Seite der Kernkraft geschlagen und letztlich haben alle Gesellschafter der Gemeinschaftskernkraftwerke „Tullnerfeld-Gesellschaft“ für die Errichtung eines Kernkraftwerkes mit dem ursprünglichen Fertigstellungstermin Mitte 1976 gestimmt.

Der Streit, ob Atom- oder Wasserkraft, scheint heute freilich längst der Vergangenheit anzugehören. Vielleicht unter dem Eindruck eines besonders wasserarmen Jahres (die Wassermenge, die zur Elektrizitätsversorgung 1971 zur Vergügung stand, betrug nur 87 Prozent der normalen Durchschnittsmenge) spricht man schon ganz offen davon, daß die Entscheidung über den Bau eines zweiten1 österreichischen Kernkraftwerkes in allernächster Zeit fallen müsse.

Allerdings wird man noch die Berechnung der Verbrauchssteigerung für dieses Jahr abwarten müssen, bevor man einen endgültigen Beschluß fassen kann.

Dann allerdings wird das Tauziehen um den Standort und die Frage, wer das Kraftwerk baut, voraussichtlich neuerlich aufleben.

Tauziehen um den Standort

Generaldirektor Klimesch von der Oberösterreidhischen Kraftwerks AG (OKA) ist dieser Tage erstmals mit der Forderung nach einem zweiten Kraftwerk, das mit Atomkraft gespeist wird, vor die Öffentlichkeit getreten. Gerade in Oberösterreich hat man in den letzten Jahren einen überdurchschnittlichen Verbrauchszuwachs feststellen können und schließlich hatte man ja bereits bei der Projektierung des ersten Kernkraftwerks den Raum um die Enns-Mündung als Standort an Erwägung gezogen.

Doch die wichtigste Frage, die zunächst zu klären sein wird, ist wohl die Frage, wer dieses Kraftwerk bauen soll. Nach den mühevollen Entscheidungen im Aufsichtsrat der bestehenden Kernkraftwerksgesellschaft, ist die Begeisterung aller Beteiligten, neuerlich eine derartige Konstruktion zu setzen, eher gering.

Atomkraftwerk: Streit um Standort und Bauauftrag

Photo: Waschel

Doch die Lösung bietet sich bereits an: Die Ennskraftwerke, eine der Sondergesellschaften der Verbundgesellschaft, hat nach Durchführung ihres Bauprogrammes eigentlich keine Aufgabe mehr, außer den Speicher Mölln zu bauen. Da dieses Projekt aber von der Bevölkerung der Gegend heftig abgelehnt wird, und die zuständigen Landesbehörden ein Jahr vor Landtagswahlen sicher nicht sehr entscheidungsfreudig sein werden, besteht die Gefahr, daß die Ennskraftwerke für die ihnen verbleibende Verwaltung ihrer Kraftwerke viel zuviel Personal beschäftigen. Die Verbundgesellschaft will nun den Ennskraftwerken den Bau des zweiten Kernkraftwerkes übertragen, was die Beteiligung anderer Landesgesellschaften aber nicht ausschließen soll. Die Landesgesellschaften zeigen sich gegenwärtig, mit Ausnahme der OKA, noch abwartend. Sie wollen erst sehen, was an Gebrauchssteigerungen auf sie zukommt. Daß sie aber wieder einem Gemeinschaftskraftwerk den Vorzug geben würden, ist allerdings ein offenes Geheimnis.

Einig sind sich aber alle Beteiligten darin, daß ein neues Kernkraftwerk eine wesentlich größere Leistung haben muß als das erste. Während Zwentendorf 704.000 Kilowatt abgeben wird, soll das zweite Kernkraftwerk bereits über eine Leistung von einer Million Kilowatt oder noch mehr verfügen. Wie groß derartige Dimensionen sind, kann man ermessen, wenn man Kaprun mit einer Leistung von 460.000 Kilowatt als Vergleich heranzieht. Die Fertigstellung des neuen Kraftwerkes wird sicher zwei Jahre länger dauern als die Bauzeit von Zwentendorf, die mit vier Jahren noch relativ günstig ist. Und auch der Preis wird weit über den fünf Milliarden Schilling für Zwentendorf liegen.

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