6997304-1987_13_14.jpg
Digital In Arbeit

Die Angst der Bürger vor den Großprojekten der Stadtplaner

Werbung
Werbung
Werbung

Das Ergebnis des großen Wettbewerbes birgt Überraschungen. Die Meinungen zwischen den Bürgern und den Fachleuten gehen weit auseinander. Die Bevölkerung hat - nach Auszählung der Fragebögen—eindeutig Angst vor neuen Großbauprojekten, während sich die Fachjury beim Ziviltechnikerwettbewerb einstimmig für die Errichtung der Staustufe Wien ausgesprochen hat.

Am Bürgervotum haben sich rund 4.000 Bürger beteiligt. Ein Großteil dieser Bürger will weder ein Kraftwerk noch einen Zentralbahnhof. Dabei war die Frage nach der Staustufe gar nicht gestellt worden.

Die wichtigsten Anliegen im Bürgervotum waren dagegen: eine Erweiterung der Radwege; mehr Sicherheit durch mehr Notruftelefone; mehr Abfallbehälter; eine Verlängerung der U-Bahn, besonders der U1 nach Nord und Süd, sowie der Ausbau der Schnellbahn; Ruhezonen für ältere Menschen in allen in Frage kommenden Bezirken; mehr Wohnstraßen und Fußgängerzonen und eine bessere Reinigung der Gewässer, vor allem der Alten Donau.

Erheblichen Widerstand gab es gegen umweltfeindliche Vorhaben wie etwa die Errichtung eines zusätzlichen Motorboothafens oder gegen eine teilweise Verbauung der Donauinsel. Ebenso abgelehnt wurden die Ideen einer Verlegung des Messegeländes zum Nordbahnhof sowie mögliche Olympische Spiele in Wien.

Dafür zeigten die Wiener ein ausgeprägtes Umweltbewußtsein. Die besten Beurteilungen durch die Bürger erhielten Vorhaben zum Selbstreinigungsvermögen der Gewässer sowie der Revitalisierung von Wasserflächen und naturnaher Parkanlagen. Auch die Chance, einen Nationalpark Donau-March-Thaya zu errichten, fällt bei den Wienern auf fruchtbaren Boden.

Nicht so die internationale Jury: Als Ergebnis des Wettbewerbes sprach sich die Jury unter Vorsitz des Darmstädter Universitätsprofessors für Städtebau,

Thomas Sieverts, einstimmig für die Errichtung der Staustufe Wien aus.

Die Begründung klingt auf den ersten Blick merkwürdig: Es hätten überwiegend ökologische und nicht energiepolitische Überlegungen zu dieser Auffassung geführt, gab der Juryvorsitzende bekannt. Dabei saßen nicht nur Bautechniker und Städteplaner in der Jury; es waren neben Ökologen und Wasserbaufachleuten auch Soziologen und Humanwissenschafter vertreten.

Einschränkend muß festgehalten werden, daß die Jury keinen ersten Preis verliehen hat. Sie gab die Empfehlung, die verschiedenen Kraftwerksprojekte und -typen bis Herbst 1987 weiterzubear-beiten.

Das Urteil der Jury im Detail:

• Die Errichtung einer Staustufe Wien wird aus ökologischen Gründen empfohlen. Dazu Sieverts: „Die Eintiefung der Donau in und unterhalb von Wien zwingt zum Handeln. Die Jury hat sich davon überzeugen lassen, daß die Risken bei Verzicht auf die Stauhaltung erheblich größer sind als die ohne Zweifel auch mit der Stauhaltung verbundenen Probleme und daß diese nach dem Stand der Technik bewältigt werden können."

• Der Bau einer sechsten Donaubrücke im Raum Wien wird abgelehnt.

• Uber die Frage der Errichtung eines Zentralbahnhofes gab es in der Jury keine Ubereinstimmung. Die Meinungen waren zurückhaltend bis ablehnend.

• Die Frage einer Weltausstellung wurde von der Jury als noch nicht entscheidungsreif bezeichnet.

Die Risker ohne Stau, auf die Bedacht genommen wurde:

Ohne Stauhaltung wird es Probleme mit dem Grundwasser in der Leopoldstadt und in der Brigittenau geben. Die meisten der alten Häuser ruhen auf Holzpfählen, die keine Standsicherheit mehr aufweisen, sobald sie aus dem Grundwasserspiegel herausragen. Dazu kommen noch die Probleme der Grundwasserdotation von Lobau und Prater sowie die Sicherung der Wasserführung im Donaukanal, in der Neuen Donau sowie den Altarmen, etwa Alte Donau oder Mühlwasser.

Die Risken, die aber mit dem Stau verbunden sind:

Vor der Errichtung einer Staustufe müssen vorerst die Oberlie-gergemeinden, von St. Pölten über Krems bis Stockerau und Klosterneuburg, ihre Abwässer, die in die Donau geleitet werden, biologisch reinigen. Unbedingt erforderlich ist auch, daß die Wassergüte innerhalb des Stauraumes in Wien maximal die Klasse II erreicht und eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach den Untersuchungsschwerpunkten Nebengewässer und Stromsohlenentwicklung positiv ausfällt.

Eine Erhöhung der Dammanlagen in Wien, die für den Hochwasserschutz errichtet werden müssen, ist für die Stauhaltung nur in geringem Umfang unterhalb der Ostbahnbrücke nötig.

Dafür müssen im Falle eines Aufstaues der Donau zahlreiche Brücken im Wiener Bereich gehoben werden; das trifft auf die Ostbahnbrücke ebenso zu wie auf die Praterbrücke.

Und wo bleibt die Ökologie?

Ein kritisches Urteil gibt die Jury über die ökologischen Aspekte der eingereichten Arbeiten ab: „Ein generelles Defizit an ökologischer Einsicht ist in den eingereichten Arbeiten klar erkennbar", heißt es im Abschlußbericht. Daß auch die städtebauliche Komponente unzureichend berücksichtigt wurde, bestätigt die Jury: „Keine Arbeit ragt durch überzeugende Ideen im Bezug auf die Hebung der funktionalen Bedeutung der Stadtlandschaft im Donaubereich und damit zur Eröffnung echter Chancen in diesem Bereich heraus."

Der Architekturkritiker Otto Kapfinger hat schon zu Jahresbeginn, lange vor Ende des Wettbewerbes, derartiges befürchtet; in der „Presse" stellte er im Februar die Frage, „ob mit Großwettbewerben dieser Art die immer wieder behauptete Sensibilisierung überhaupt zu leisten ist".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung