6781494-1969_45_06.jpg
Digital In Arbeit

Architekturbankrott in Wien?

19451960198020002020

Innerhalb der schmalen Schicht baukünstlerisch interessierter Intellektueller Wiens gärt es derzeit mächtig: Je nach Temperament ist die Stimmung gereizt bis verärgert, allgemein aber zutiefst depressiv.

19451960198020002020

Innerhalb der schmalen Schicht baukünstlerisch interessierter Intellektueller Wiens gärt es derzeit mächtig: Je nach Temperament ist die Stimmung gereizt bis verärgert, allgemein aber zutiefst depressiv.

Werbung
Werbung
Werbung

Schuld daran ist die große Enttäuschung über das Ergebnis des weltweiten Architekturwettbewerbes für das künftige internationale Behördenzentrum im Wiener Donaupark.1

Gerade an dieser Konkurrenz der Superlative hatten sich nämlich die geheimsten Hoffnungen eskaliert, mit einem Paukenschlag aus der nicht mehr zu unterbietenden Wiener Architektuinsterilität ausbrechen zu können.

Mit dem „bedeutendsten Bauvorhaben seit der Ringstraßenzeit“ sollte dem „aufstrebenden Siedlungsgebiet nördlich der Donau“ zu einem „architektonisch bedeutsamen

Akzent“ verhelfen werden. So lautete jedenfalls die offizielle Lesart, zu der die gesamte sogenannte Fachwelt beifällig mit dem Kopf nickte. Sicherlich nicht zufällig war die „Ringstraßenzeit“ in diese Formel geraten, denn in der schwärmerischen Verehrung für die große Bauepoche der Hansen, Semper, Otto Wagner und Adolf Loos findet sogar die revolutionär-zornige Avantgarde rund um den wegen zu fortschrittlicher Ideen seinerzeit von der Technischen Hochschule gefeuerten Doktor Feuerstein mit den arrivierten Architekten in der „Preislage“ eines Prof. Schwänzer die gemeinsame Ebene. Dort wieder einmal anknüpfen zu können, ist der Wunsch aller. Aus dem Himmel solcher Träume zurück in die nüchterne Realität fiel man daher um so härter, als am

24. September 1969 der Juryvorsit- zende des Donauparkprojektes, der französische Stararchitekt Pierre Vago — seines Zeichens Präsident der „Union Internationale des Archi- tectes“ — vor der versammelten Weltpresse in der riesigen Zelthalle im Donaupark das Wettbewerbsresultat verkündete. Gleich nach der Aufzählung der vier Preisträger und der fünf „Ankäufe“ folgte nämlich ein kaum begreifbarer Rückzieher der Prominentenjury, die dem vielstrapazierten Sailomon wahrlich zur Ehre gereichte: Als Sprecher des Preisgerichtes erklärte Architekt Vago rundweg keinen der Pläne für ausführungsreif! Im Namen der Jury „empfahl“ er dem „Auslober“ — hinter diesem antiquiert klingenden Begriff verbirgt sich der Bauherr, Bund und Gemeinde Wien — die vier Preisträger einzuladen, ihre Arbeiten zu präzisieren.

Damit war die Architekturpleite dieses Wettbewerbes perfekt. Bund und Gemeinde hatten den „Schwarzen Peter“, die Jury war wenig elegant, aber dennoch um eine Entscheidung herumgekommein, und die Fachwelt so klug als wie zuvor!

Geschickt nützte Herr Vago indessen die Chance der allgemeinen Verwirrung. Bevor sich der gerechte Zorn über dem Haupte der Jury entladen konnte, raste er unmittelbar nach Schluß der Pressekonferenz zum Flugplatz und entschwand mit der nächsten Maschine der reichlich dick gewordenen Wiener Luft, die nur noch wenig von ihrem sprichwörtlichen Charme behalten hatte.

Wehmütige Reminiszenzen

Während sich Bund und Gemeinde anschickten, dem Ratschlag der Jury zu folgen, weil dem Bauherren kaum etwas anderes übrig blieb, bot sich den Wienern wenig später die Chance, einen Monat lang in der Zelthalle im Donaupark zu bewundern, welche Lösungen die 272 Architekten aus 50 Staaten der Welt angeboten hatten. Selbst dem Laien wurde dabei leicht klar, daß das Ergebnis insgesamt kaum Begeisterungsstürme auszulösen imstande war.

Wie immer letztlich die Entscheidung des keineswegs zu beneidenden Bauherrn ausfallen mag, fest steht, daß mit dem internationalen Behördenzentrum im Donaupark kaum an die glorreichen Zeiten der Ringstraßenepoche angeschlossen werden kann. Das ist um so betrüblicher, als in der Bundeshauptstadt nach dem zweiten Weltkrieg zwar gebaut wurde wie selten zuvor, allerdings mit dem Ergebnis, daß heute einer erschreckenden Zahl entsetzlicher Architekturmonstren erschreckend wenig akzeptable Lösungen gegenüberstehen. Unumstritten anerkannt ist Prof. Rainers Stadthalle (1956 bis 1958) oder Schwänzers Museum des 20. Jahrhunderts, jener remigrierte österreichische Pavillon der Brüsseler Weltausstellung 1958.

Mehr als umstritten ist hingegen etwa das Bürohaus der Wiener Städtischen Versicherung am Schottenring, dem man die Verunstaltung der Silhouette der Wiener Innenstadt vorwirft. Vernichtend ist die Kritik am Wiener Wohnbau, dem das Spottwort von der Emmentalerarchitektur nicht zu unrecht weltweit nachläuft. Nur noch wehmütige Erinnerungen löst in diesem Zusammenhang der 1927 geschaffene und als Architekturleistung anerkannte Karl-Marx-Hof in der Heiligenstädterstraße aus, der, von Karl Ehn konzipiert, mit seinen 1325 Wohnungen echtes proletarisches Standesbewußtsein ausstrahlt. Das ist heute freilich einem schamhaften, seine Herkunft leugnenden Kleinbürgertum gewichen, das sich in Nutzlosigkeiten, wie etwa dem Donauturm — einer dem historischen Stadtbild unwürdigen Modetorheit — äußert.

Zweifelhafte Positionen

Angesichts solcher Kulissen sind die mitunter wenig kontrollierten Reaktionen auf den Donauparkwettbewerb durchaus verständlich. Bezeichnend für die Ratlosigkeit heimischer Architekturschöpfer und nicht frei von einer gewissen Pikan- terie war eine alsbald veröffentlichte Presseerklärung der Wiener Ingenieurkammer, für die deren Präsident Müller-Hartbung persönlich zeichnete, und in der herbe Kritik am System des Wettbewerbes und an der von der Jury vorgeschlagenen weiteren Vorgangsweise geübt wurde. Immerhin hatte die gleiche Ingenieurkammer ebenso wie der Weltdachverband der Architekten, die Union Internationale des Archi-

tectes, seinerzeit die Wettbewerbsregeln ausdrücklich genehmigt. Die verspätet publizierten Weisheiten der Ingenieurkammer bedeuten demnach eine glatte Kindesweglegung!

Die ungünstige Position der zuständigen Interessenvertretung skizzierte indessen der ob seiner spitzen Feder gefürchtete Fachkritiker der Tageszeitung „Die Presse“, Architekt Achleitner, der sich wenig später den Hinweis nicht verkneifen könnte, daß sich schließlich Kammerpräsident Müller-Hartburg selbst unter den durchgefallenen Wettbewerbsteilnehmern befunden habe Zielsicher und mit vornehmer Ironie bewertet schließlich Architekt Doktor Feuerstein im „Kurier“ den Juryspruch. „Der erste Preis sei hoch, der zweite Preis sei niedrig, der dritte Preis sei weder hoch noch niedrig “ schrieb der vom Architekturnachwuchs besonders verehrte Fachmann.

Der Bauherr blieb ungeschoren

Den österreichischen Architektur- schaffenden blieb nur ein schwacher Trost: Am ersten Preis, den Cesar Pelli und der österreichische Amerikaemigrant Gruen mit einer schlanken, 180-Meter-Hauskette gewannen, waren einige jüngere Österreicher beteiligt. Der vierte Preis fiel schließlich an den jungen österreichischen Außenseiter Johann Staber, den allerdings der blamable Vorwurf trifft, besonders schlampig gearbeitet zu haben.

Am besten schneidet bei der Fülle Von Kritik, die vor allem an der Jury und deren Methoden geübt wird, noch der Bauherr selbst ab.

Auf ihn werden ausnahmsweise keine Steine geworfen.

Bund und Gemeinde hatten nämlich aus den Vorwürfen vergangener Jahre gelernt, hatte man doch früher immer den Bauherrn und seine Wettbewerbsmethoden für die dürftigen Architekturergebni’sse neuzeitlichen Bauschaffens verantwortlich gemacht. Die Engstirnigkeit der Beamtenjurys und die kleinkarierten nationalen Bewerbe, so war immer argumentiert worden, verhinderten die kreative Entfaltung und die Formung eines ansprechenden Architek- turprofils.

Beim Wettbewerb für das Behördenzentrum im Donaupark gab man der Bildung solcher Legenden von vornherein keine Chance: Die Wett bewerbsbedingungen wurden nach den Regeln der Union Internationale des Architectes ausgearbeitet. Man ließ sie sicherheitshalber von dieser Organisation und den nationalen Ingenieurkammern sanktionieren. Die Zusammensetzung der siebenköpfigen Jury erfolgte gleichfalls über Vorschlag der UIA, der Bauherr war mit zwei Jurymitgliedern gegenüber der Ausländerphalanx in hoffnungsloser Minorität. Auch die Methode, wie die eingereichten Projekte geprüft werden sollten, blieb der Jury überlassen.

Damit hatte der Bauherr alle in den letzten Jahren aufgestellten Forderungen nach echter Freiheit und Unabhängigkeit für das Preisgericht erfüllt.

Dennoch fehlte der Jury letztlich der Mut, eine richtungsweisende Entscheidung zu fällen. Sie wird nun doch vom Bauherrn zu treffen sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung