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Das gefundene Fressen des großen Schweigers

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Der hoch angesehene Staatsrechtler und ÖVP-Parlamen-tarier Univ.-Prof. Felix Er-macora hat mit seiner „persönlichen Meinung“ zur Verkürzung der Grundwehrdienstzeit auf drei Monate etwas erreicht, was er ganz bestimmt nicht erreichen wollte: Er bekam eine Rüge vom eigenen Parteiobmann, viel Beifall von sozialistischen und kommunistischen Bundesheergegnern und darüber hinaus darf sich der konsequente Schweiger und Verteidigungsminister Otto Rösch unverhofft rehabilitiert fühlen.

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Der hoch angesehene Staatsrechtler und ÖVP-Parlamen-tarier Univ.-Prof. Felix Er-macora hat mit seiner „persönlichen Meinung“ zur Verkürzung der Grundwehrdienstzeit auf drei Monate etwas erreicht, was er ganz bestimmt nicht erreichen wollte: Er bekam eine Rüge vom eigenen Parteiobmann, viel Beifall von sozialistischen und kommunistischen Bundesheergegnern und darüber hinaus darf sich der konsequente Schweiger und Verteidigungsminister Otto Rösch unverhofft rehabilitiert fühlen.

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Otto Rösch, Kompaniechef und Hauptmann im Zweiten Weltkrieg, später Leiter der Zensurstelle der britischen Besatzungsmacht, dann Sekretär, Bundesrat und Landtagsabgeordneter der SPÖ in der Steiermark, gehörte von 1959 bis 1966 als Staatssekretär für Landesverteidigung mehreren Regierungen an. Bereits 1961 kündigte er sich als Wegbereiter einer Verkürzung der Präsenzdienstzeit an und stand sodann mehr als zehn Jahre unter schwerem Beschuß der diese Maßnahme ablehnenden Volkspartei.

Schon bei den Verhandlungen für das Wehrgesetz von 1955 gab es Differenzen zwischen Volkspartei und Sozialisten hinsichtlich der notwendigen Grundausbildungszeit beim neuen österreichischen Bundesheer: Die Sozialisten traten für sechs Monate, die Politiker der ÖVP für zwölf Monate Präsenzdienstzeit ein, was nach der Papierform der österreichischen Mentalität nur in einen Kompromiß mit neun Monaten münden konnte.

Der Neun-Monate-Kompromiß, der von führenden Militärs von Anfang an wegen zu kurzer Ausbildungszeit, zu knapper Budgetmittel und zu geringer personeller Ausstattung kritisiert worden war, fand bei Otto Rösch nur kurze Schonfrist:

• Am 2. Juli 1961 berichteten übereinstimmend „Neues Österreich“ und „Arbeiterzeitung“: Staatssekretär Rösch hat anläßlich eines Vortrages in Graz erklärt, es gebe „leider noch viel Leerlauf in der Ausbildung“ und daraus resultiere ,('oft Langeweile, die sich auf die Disziplin nachteilig“ auswirke. Rösch trat „unter Umständen“ für eine Herabsetzung der Dienstzeit von neun auf sieben Monate ein. Die Verkürzung der Dienstzeit sollte durch intensivere Ausbildung und Erhöhung der täglichen Ausbildungszeit um zwei Stunden erkauft werden.

• In einem Interview mit der Kärnten-Ausgabe der sozialistischen „Neuen Zeit“ präzisierte Otto Rösch am 31. Dezember 1963 seinen Standpunkt: Die Präsenzdienstzeit könne um zwei Monate auf sechseinhalb verkürzt werden, denn neun Monate habe es tatsächlich ja nie gegeben, da die Soldaten zum Schluß ihrer Dienstzeit zwei Wochen Urlaub hätten. Rösch verwies dann auf die Schweiz: Dort betrage die Grundausbildung nur vier Monate, werde aber durch zahlreiche Waffenübungen ergänzt.

• Kurz vorher - ebenfalls im Dezember 1963 -hatte der sozialistische Bundesrat Univ. Prof. Hans Thirring einen Plan der totalen Abrüstung

Österreichs propagiert. Der sogenannte Thirring-Plan stieß aber in der Öffentlichkeit eher auf Ablehnung, weshalb er als Plattform für den Kampf gegen die ÖVP-Verteidigungspolitik ungeeignet erschien.

• Am 12. Mai 1964 wurde der Rösch-Plan von der SPÖ auch offiziell aufgegriffen. Laut Sozialistischer Korrespondenz stellten die SPÖ-Vertreter im Arbeitsausschuß der beiden Regierungsparteien fest, sie würden auch „weiterhin für die Verkürzung der Wehrdienstzeit eintreten“.

• Am 19. Juni präsentierte Parteivorsitzender Bruno Pittermann dem SPÖ-Parteitag die Rösch-Idee als Teil des für die 1966er-Wahl bestimmten „Programms für Österreich“. Pittermann erklärte wörtlich: „Wir wiederholen daher unseren Vorschlag, die Dauer des ununterbrochenen Präsenzdienstes auf sechseinhalb Monate zu beschränken, und daran in bestimmten zeitlichen Zwischenräumen dreimal zweiwöchige Waffenübungen anzuschließen.“

• Nach der für die SPÖ scheinbar vernichtenden Wahlniederlage von 1966 wurde es um die Rösch-Idee eher still. Hin und wieder tauchte sie auf. Vorübergehend wurde 1968 sogar im Rahmen der „Aktion 20“ die Frage einer Verkürzung der Präsenzdienstzeit von der ÖVP ventiliert. Hermann Withalm zeigte sich einem Milizkonzept mit viermonatigem Grundwehrdienst nicht abgeneigt, dem stand das strikte Nein des damaligen Verteidigungsministers Georg Prader gegenüber.

• Eher überraschend kam es daher, als die Sozialisten im Wahlkampf 1970 mit der schlichten Formel „Sechs Monate sind genug“ aufwarteten: Solcherart sollten Wählerstimmen gewonnen und Budgetgelder gespart werden. Ersteres ging in Erfüllung, während nach bisherigen Erfahrungen ein seriöses Milizkonzept wesentlich mehr Geld erfordert, als das bis 1971 praktizierte Modell. Doch Reform und Konzept mußten nach zahllosen Beratungen und in unzulänglicher Form (für die längere Ausbildung der Kadersoldaten gibt es erst seit 1977 die gesetzliche Voraussetzung, die Bereitschaftstruppe besteht nur in Fragmenten) nachgereicht werden. Unter dem Motto: Am Anfang stand der Gag...

Ausländische Pressestimmen sprachen damals von „Vanbanque-spiel mit der Neutralität“ (Weltwoche) und witzelten darüber, daß Kanzler Bruno Kreisky alle Waffen des Bundesheeres zu Schleuderpreisen verkaufen wolle, weil Österreich fortan mit den drei Pfeilen aus dem SPÖ-Parteiemblem verteidigt werden könnte (Spiegel).

Interessant ist aber, was Felix Ermacora 1973 in dem von ihm herausgegebenen „Weißbuch zur Lage der Landesverteidigung Österreichs“ vom Sechs-Monate-Slogan hielt: „Erst im Herbst 1969 ... beginnt die SPÖ wiederum ihre Forderung auf Verkürzung der Wehrdienstzeit zu propagieren; dies sicherlich, weil durch die Herabsetzung des Wahlalters eine weitaus größere Zahl an Jungwählern zu verzeichnen war als bei den früheren Wahlgängen und man durch die Forderung nach Wehrzeitverkürzung ein besonderes Wählerpotential anzusprechen vermeinte, was durch Meinungsumfragen ermittelt worden ist.“

Wenn Felix Ermacora heute die Dauer des Grundwehrdienstes in Frage stellt, so heißt das freilich noch lange nicht, daß in der Diskussion um das richtige Konzept für das Bundesheer eine direkte Linie von Otto Rösch zu Felix Ermacora führt. Eher im Gegenteil. Dafür aber wird sich Ermacora mittlerweile darüber im klaren sein, wie schwer bzw. aussichtslos es ist, die Nicht-Verwandtschaft seiner Ideen und Motive mit jenen von Otto Rösch in der Öffentlichkeit zu erklären.

Ermacora ist sicher glaubwürdig, wenn er sagt, er habe den jetzigen Zeitpunkt gerade deshalb gewählt, weil er keinen Wahlschlager anbieten möchte. Ermacora wertet seine Anregung als „Vorschlag an die Partei“, welche die Dinge zu prüfen habe. Ausschlaggebend für Ermacoras ungewöhnlichen Verstoß war ein gewisses Unbehagen mit dem derzeitigen Milizsystem, das ihm unvollständig erscheint: „Ich finde es unsinnig, wenn so viele Soldaten in Hilfsfunktionen tätig sind. Das erzeugt Unlust.“

Diese sogenannten „systemerhaltenden Dienste“ wird es freilich schon aus finanziellen Gründen in absehbarer Zeit immer geben: Im Gegensatz zu Österreich hat die Schweizer Armee rund 30.000 zivile Angestellte, die als Fahrer, Köche und in der Verwaltung eingesetzt sind. Dafür fehlt Österreich bis auf weiteres das nötige Kleingeld. Ganz abgesehen davon, daß der Personalaufwand in Österreichs Verteidigungsbudget schon heute hoch genug ist. „Seit dem Jahre 1971 liegt der Personalaufwand ziffernmäßig über dem Sachaufwand“, schrieb bereits vor fünf Jahren Ministerialrat Johann Ellinger warnend in der FURCHE.

Auch abgesehen von diesen systemerhaltenden Diensten ist das Schweizer Milizsystem, konsequent angewandt, für Österreich nicht finanzierbar. Darin sind sich Kritiker dieser Idee einig. Ermacoras Vorgänger als Wehrsprecher der ÖVP, Heinrich Neisser, ist ganz sicher, daß dies eine „spürbare Erhöhung des Budgets bedeuten“ würde: „Ich nehme an, daß das nicht unter der Milliarden-Grenze liegt“

Auch aus dem Verteidigungsministerium ist in dieser Hinsicht nichts Erbauendes zu erfahren. Angeblich muß das Heer für einen Soldaten auf Truppenübung (für den volle Entschädigung für Verdienstentfall geboten werden muß) mehr als viermal so viel ausgeben als für einen normalen Grundwehrdiener. Laut Pressesprecher Johann Ellinger kostet 1980 ein Grundwehrdiener pro Tag 94 Schilling, während ein für eine Truppenübung nur vorübergehend einberufener Soldat durchschnittlich 413(!) Schilling je T^äg kosten werde.

Und damit stellt sich die Frage: Hat , es einen Sinn, ein noch so hervorragendes Miliz-Modell für Österreich zu approbieren, wenn unsere Brieftasche nicht danach ist? Oder wäre es nicht besser, zuerst einmal in die

Brieftasche hineinzuschauen und nach der vorhandenen Kaufkraft das entsprechende Verteidigungsmodell zu wählen?

Gegen die Ermacora-Idee ließen sich auch andere als finanzielle Gründe ins Treffen führen. Am gewichtigsten erscheint jener, daß das langersehnte Heraushalten des Bundesheeres aus der Tagespolitik nun wieder gefährdet erscheint. Der freiheitliche Wehrsprecher Helmuth Josseck hat ja prompt mit beiden Händen zugegriffen und ein Konzept für Viereinhalb-Monate-Diener angeboten. Daß es noch keinen Fernkurs für angehende Soldaten gibt, ist als echtes Versäumnis zu werten.

Fürs erste scheint der Sommerdisput beendet. Ermacora wird, wenn die Partei nein sagt - was sie sicher tut -, „nicht Don Quichote spielen“, wie er der FURCHE sagte. Und Minister Rösch ließ Johann Ellinger eine Stellungnahme zur Nicht-Stellungnahme geben: „Das Bundesministerium für Landesverteidigung sieht keinen Anlaß , zu der von Abg. zum Nationalrat Univ.-Prof. Dr. Ermacora vertretenen Auffassung... Stellung zu nehmen, da es sich hierbei - wie festgestellt - nur um seine Privatmeinung gehandelt und er diese Auffassung auch nur so skizzenhaft umrissen hat, daß viele Fragen offen geblieben sind.“

Der große Schweiger kann lachenden Herzens weiterschweigen.

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