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Management by Terror

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Für die „Arbeiter-Zeitung“ sind „die wehrpolitischen Dunkelmänner wieder am Werk“; und zwar im Hinblick auf das „Weißbuch zur Lage der Landesverteidigung Österreichs“, das der Abgeordnete und Universitätsprofessor Felix Ermacora kürzlich „im Namen eines Kreises wehrpolitisch interessierter Staatsbürger“ herausgegeben hat — im Namen von Staatsbürgern, die der Herausgeber, diesbezüglich befragt, durchaus nicht nennen wollte. Und diese Staatsbürger (der Verfasser dieses Artikels gehört leider nicht zu ihnen; er hat den Abgeordneten Ermacora erst bei der Pressekonferenz kennengelernt), diese Staatsbürger also werden von Günter Traxler als „anonyme Helden“ diffamiert. Nichts auszusetzen hingegen hat der „AZ“-Stratege an der Tatsache, daß der Bundeskanzler trotz mehrmaliger öffentlicher Befragung sich bis heute strikte geweigert hat, die Namen seiner militärischen Berater preiszugeben, obwohl er, auch ohne Ansehung seines permanenten Verlangens nach „Transparenz“, als oberster Chef der Verwaltung zumindest dem Parlament und moralisch wohl auch dem Volk gegenüber dazu verpflichtet wäre. Aber bitte: man versteht den Bundeskanzler, wenn er Dilettanten seiner Couleur nicht als Dilettanten entlarvt sehen will.

Man muß aber auch den Staatsbürger Ermacora verstehen, wenn er stellvertretend auch für seine Mitarbeiter verantwortlich zeichnet. Als Universitätslehrer einerseits und als frei gewählter Abgeordneter anderseits ist er, seinen eigenen Worten zufolge, gegen existenzgefährdende Repressalien abgesichert; einige seiner Kollegen im Autorenkollektiv hingegen könnten unter Unständen dafür, daß sie Kreiskys Parole der „Demokratisierung“ wörtlich verstanden haben, durch berufliche Schikanen indirekt bestraft werden. Zwar wird in dem „Weißbuch“ nichts enthüllt oder gar verraten; in den Schubladen der in Wien akkreditierten Militärattaches liegt zweifellos mehr und besseres Material als dasjenige, das die „Weißbuch“-Verfasser verarbeitet haben. Aber in Kertiskys „modernem Österreich“ genügt es offenbar schon, von Demokratie eine etwas weniger reaktionäre, nämlich etwas weniger autokratische Vorstellung zu haben als der Bundeskanzler, um in den regierungsamtlichen Bierverschiß zu kommen: der Fall Ellinger sollte so wenig vergessen werden wie etwa jene unwidersprochene Behauptung eines „Wochenpresse“-Leitartikels, der Kanzler habe unbotmäßigen Journalisten mit einer Art Zensur gedroht. Und jedenfalls macht eines Sakrilegs sich schuldig, wer der Redseligkeit des Regierungschefs in der harten Sprache der Tatsachen antwortet. Das, genau das aber tut das Ermaeora-„Weißbuch“.

Provozieren — wenn auch keineswegs als Rückfall in jenen Jargon, sondern als Fortschritt in Richtung auf eine realistische Sicherheitspolitik —, provozieren also soll und will dieses „Weißbuch“ zwar schon, aber in dem positiven Sinn der Herausforderung. Wenn die laut Eigenlob „bestvorbereitete Regierung“ wirklich immer alles viel besser weiß als ihre Kritiker, dann hat sie jetzt nicht nur die Möglichkeit, sondern geradezu die Pflicht, in der Widerlegung des „Weißbuches“ Punkt für Punkt ihren eigenen Bericht zu liefern und ihre eigenen Pläne zu präzisieren. Natürlich wird Bruno Kreisky sich hüten, dem „Weißbuch“ mehr als die sattsam bekannten Phrasen zu widmen, die er stets im Munde führt: daß an dem wie an allem die Volkspartei schuld ist. Aber wenn der Kanzler und die betroffenen Ressortchefs auch jetzt nicht sachlich und ausführlich ihre Taten und Absichten darlegen, dann bestätigen sie zweierlei: einmal die Richtigkeit des von Ermacora vorgelegten Katastrophenberichts, und zum andern die Richtigkeit des Verdachts, daß die Sozialisten das Bundesheer planmäßig demoliert haben, um in den Ruinen der staatlichen Streitmacht eine parteihörige Privatarmee zu etablieren.

Parteiloser Abg. Ermacora: Wer sind „anonyme Helden“?

Diesen Verdacht, übrigens, verstärkt auch das „Weißbuch“; und zwar weniger dadurch, daß es ihn, diesen Verdacht, etwa bloß behauptet, sondern durch eine Chronologie sozialistischer Wehrpolitik seit 1955 unter Heranziehung zahlloser Dokumente. Diese erhellen, daß zwar keineswegs alle, aber doch viele Sozialisten ständig das angestrebt haben, was erst Bruno Kreisky, dann allerdings prompt, verwirklichen konnte: die totale Demontage des Bundesheeres durch ein „Management by Terror“, worunter die Wirtschaftssoziologie jene an sich absurde Führung versteht, die einerseits Ziele setzt, aber anderseits die zum Erreichen dieser Ziele unerläßlichen Mittel verweigert. Just so hat ja die Regierung verfahren: Sie hat — wenn auch nur zur Täuschung der Wählerschaft — das Ziel eines durch Reformen verbesserten Heeres gesetzt, diesem Heer dann aber die personellen und finanziellen Mittel drastisch gekürzt: der Budgetanteil ist trotz der Kostenexplosion im Rüstungsbereich mit 3,6 Prozent der kleinste seit dem Wiedererstehen d^es Bundesheeres; und die Wehrrechtsnovelle 1971 garantiert für spätestens 1977 den Zusammenbruch auch der letzten Reste von Dienstbetrieb infolge des Ausfalls der Masse des Kaderpersonals.

Diese von der FPÖ mitbeschlossene Gesetznovelle steht, wie bei jedem fachkundigen Beurteiler, auch bei Ermacora im Mittelpunkt der Kritik und dient auch ihm als der wirklich stringente Beweis für die These, daß Bruno Kreisky das Heer — jedenfalls in der demokratischen Struktur des Volksheeres — nicht reformieren, sondern von Anfang an demolieren wollte. Was gerade in Anbetracht der verkürzten Dienstzeit doppelt nötig wäre, nämlich eine quantitative und qualitative Verbesserung im Bereich vor allem der unteren Führung, der Auf- und Ausbau der Kader: das wird von dieser Novelle nicht nur nicht gefördert, sondern verhindert und endlich ins Gegenteil, in eine Reduktion des Kaderpersonals, verkehrt. Das betrifft nicht nur das aktive Heer, sondern auch das Reserveheer, dessen Mobilisierung bald nicht einmal mehr in verkleinertem Rahmen möglich sein wird.

Das „Weißbuch“ verrät, wie schon gesagt, keine Geheimnisse und bringt auch eigentlich keine neuen Fakten. Sein enormer Wert besteht vielmehr darin, daß es endlich eine Zusammenschau der diversen Einzelprobleme sowohl liefert als auch ermöglicht: von den Staats- und neutralitätsrechtlichen Bedingungen über die Wehrpolitik von 1955 bis Februar 1973, unter besonderer Berücksichtigung der Demolierungsmaß-nahmen Kreiskys, bis in jene Bereiche, die innerhalb einer umfassenden Landesverteidigung, innerhalb einer Gesamtverteidigung nur scheinbar an zweiter Stelle rangieren, in Wahrheit jedoch die Voraussetzung sinnvoller militärischer Verteidigung bilden: die geistige, die wirtschaftliche und die zivile Landesverteidigung. Nicht im eigentlichen militärischen Sektor, wohl aber in diesen Bereichen bieten die Verfasser, neben ihrer Kritik an den zahllosen Unterlassungssünden, eine Reihe bedenkenswerter konkreter Alternativen. Gerade dadurch stellt das Erma-cora-„Weißbuch“ eine Frage nicht nur an-die Regierung, sondern an das Volk; die Frage nämlich, wie viel — oder wie wenig — ihm der

freiheitlich-demokratische Rechtsstaat nun wirklich wert ist.

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