Die Masse macht die ENERGIE
Es ist der größte PR-Coup heimischer Konsumentenschützer: Aus 260.000 Haushalten wird ein Großkunde, der billigere Energie bezieht. Welches Potenzial hat die erste Energie-Einkaufsgemeinschaft im Land?
Es ist der größte PR-Coup heimischer Konsumentenschützer: Aus 260.000 Haushalten wird ein Großkunde, der billigere Energie bezieht. Welches Potenzial hat die erste Energie-Einkaufsgemeinschaft im Land?
So einfach war der Wechsel zu einem anderen Stromanbieter noch nie: Ein Online-Formular ausfüllen, absenden und sich gratis ausrechnen lassen, wie viel man künftig sparen kann. Dieser Tage erhalten die 260.000 Teilnehmer der Aktion "Energiekosten-Stop" ein unverbindliches Angebot mit ihrer persönlichen Kostenersparnis (siehe Kasten unten). Dass die Aktion derartig erfolgreich sein wird, hat niemand erwartet: Die Konsumentenschützer haben mit maximal 100.000 Teilnehmern gerechnet.
Als Energiegenossenschaft im klassischen Sinn betrachtet sich die Initiative des Vereins für Konsumentenorganisation (VKI) nicht: "Wir haben zwar eine Interessentengemeinschaft gesammelt, um mit einer lauteren Stimme zu sprechen. Doch jeder einzelne Konsument schließt einen eigenen Vertrag mit dem jeweiligen Energielieferanten ab", erklärt Cora James, die Projektleiterin der Initiative. Bei Ökostrom soll die Jahresersparnis im Schnitt 131 Euro betragen, bei Gas 138 Euro.
Finanziert wird die Aktion so: Das niederländische Vergleichsportal Prizewize schließt mit verschiedenen Energieversorgern Verträge ab und bezahlt mit diesem Geld wiederum die jeweilige Energiespar-Initiative. Erfahrungen mit ähnlichen Energie-Aktionen aus anderen EU-Ländern zeigen aber, dass nur etwa zehn bis zwanzig Prozent der Konsumenten tatsächlich den Anbieter wechseln. "Bei einer Einsparung im zweistelligen Bereich ist den Leuten der Umstieg oft zu aufwendig", weiß James.
Abgewandelte Genossenschafts-Idee
Parallelen zur Genossenschafts-Idee des 19. Jahrhunderts erkennt Helmut Berg, Koordinator von Oikocredit Austria, durchaus: "Wenn sich Konsumenten zusammenschließen, um ihre finanzielle Situation zu verbessern, klingt schon stark mit, was Mitte des 19. Jahrhundert Leute wie Raiffeisen oder Schulze-Delitzsch mit den Banken gemacht haben. Beim Crowdfunding oder Crowdfinancing geht es auch um eine finanzielle Erleichterung, um etwas gemeinschaftlich Organisiertes." Doch die Stromkunden hätten eine Fülle von Möglichkeiten, zu anderen Stromanbietern zu wechseln, während die armen Bauern und Handwerker des 19. Jahrhundert nur eine Möglichkeit hatten, nämlich Raiffeisen-Mitglied zu werden, so Berg
Als eine klassische Grassroot-Bewegung von unten sieht der auf Sozial- und Wirtschaftsethik spezialisierte Theologe Berg die Aktion aber nicht: "Die Leute sind ja nicht selbst erwacht und aktiv geworden, sondern wurden eher wachgeküsst vom VKI. Das war eher ein Weckruf zum Wechsel." Gerade in Österreich, wo erst die dritte Generation mit demokratischen Werten aufwächst, herrsche allzu oft die Annahme, man könne eh nichts ändern, oder die Angst, dass jede Veränderung eine Verschlechterung der Lebensumstände bedeute.
Lokale Initiativen "von unten"
In Deutschland sind seit dem Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien viele kleine und von unten organisierte Energiegenossenschaften aus dem Boden geschossen: Menschen schließen sich zusammen, um gemeinsam vor Ort Energie zu erzeugen und zu nutzen. Sie zahlen in die Errichtung einer Energiegewinnungs-Anlage ein und werden mittels Anteilscheinen finanziell beteiligt.
"Diese dezentralen Initiativen haben mehr politisches Gewicht als die VKI-Initiative, weil es hier um mehr als den finanziellen Vorteil geht und sich die Leute selbst organisieren", meint der Zukunftsforscher Hans Holzinger von der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen. Er steht der VKI-Initiative gespalten gegenüber: "Sie ist zwar ein Beispiel für die Stärkung der Konsumentenmacht, weil die Profite der Energiekonzerne gedrückt werden. Aber sie leistet keinen Beitrag, Energie zu sparen." Aus ökologischer Sicht sollten die Energiepreise höher sein, um den Anreiz zu schaffen, mit Energie sorgsam umzugehen. Der Nachhaltigkeits-Experte hat sich an der Aktion nicht beteiligt. Bei einer gemeinschaftlichen Anlage zur Ökostromerzeugung würde er sich sehr wohl beteiligen. Die VKI-Aktion könnte laut Holzinger sogar zu einem Rebound-Effekt führen: "Die Leute könnten denken: Wenn der Strom billiger wird, kann ich noch mehr verbrauchen. Aber am allerbesten ist die Energie, die man nicht verbraucht."
Dass ohne Bürgerbeteiligung keine Energiewende möglich ist, weiß die Geschäftsführerin der Ökostrom-Börse Salzburg, Heidemarie Rest-Hinterseer. Sie leitet die Plattform für Konsumenten und Produzenten von grünem Strom: Die Kunden bezahlen einen Förderbeitrag von 1,5 Cent pro Kilowattstunde, der für die Errichtung neuer Öko-Energieanlagen genutzt wird. "Das ist ethisches Investment", so Rest-Hinterseer. Österreichweit gibt es bereits tausende Ökostromanlagen. Auch wenn es bei der Umsetzung noch rechtliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten gibt, sei die Nachfrage sehr groß: "Wir erleben gerade einen Übergang von der privaten zur gemeinschaftlichen Nutzung. So können alle an der Energiewende teilhaben", berichtet Rest-Hinterseer.
Die Rückbesinnung auf das genossenschaftliche Erzeugen von Strom ist ein Grundpfeiler dieser Energiewende. Denn erneuerbarer Strom wird immer dezentral und nahe beim Verbraucher erzeugt. "Der Trend geht stark in Richtung selbstversorgende Mikro-Stromnetze und ineinander verzahnte Genossenschaften", so Rest-Hinterseer. Immer wieder gebe es aber Bedenken in Siedlungen, ein gemeinsames Netz mit den Nachbarn zu nutzen: "Die häufigste Sorge lautet: 'Ich will nicht von meinem Nachbarn abhängig sein, der dreht mir das Gas ab.' Da muss man irrationale Ängste entkräftigen." Derzeit können Mikro-Stromnetze einen Genossenschafts-Wohnbau oder ein Dorf beliefern. Die Versorgung von größeren Städten oder Regionen ist noch Zukunftsmusik.
Mehr Bewusstsein für die Energieherkunft
Die Ökostrombörse war das österreichweit erste Crowdfunding-Modell im Energiebereich. Hierzulande gibt es davon erst eine Handvoll, in Deutschland bereits über 500. Die österreichischen Gemeinschaftsmodelle sind noch wenig lukrativ -in Deutschland hingegen haben sich Energiegenossenschaften zu einem rentablen Geschäft entwickelt. "Unter den aktuellen Förderbedingungen sind diese Beteiligungsanlagen extrem schwer umzusetzen", kritisiert Rest-Hinterseer. Sie fordert für das Ökostrom-Gesetz eine eigene Förderschiene für Beteiligungsanlagen im größeren Stil.
Die Energiekosten-Aktion schätzt Rest-Hinterseer positiv ein: "Alles, was Konsumenten darauf aufmerksam macht, dass Energie erzeugt werden muss und etwas kostet, ist gut. Die Leute sollen nachforschen, woher ihr Strom kommt." Denn vielen Konsumenten ist nicht bewusst: Jeder Strom, der nicht klar deklariert ist, ist Atomstrom.
Durch einen Schneeball-Effekt könnte laut Sozialethiker Berg eine Bewegung kritischer Konsumenten entstehen, die auch andere Bereiche näher unter die Lupe nimmt: Zahlen wir hier oder da zuviel? "Noch besser wäre es, nicht nur auf die Quantität des Preises zu schauen, sondern auf die Qualität: Ökologische Inhalte, Tierhaltung, ausgebeutete Arbeitskräfte in Schwellenländern." Zu einer gelebten Demokratie gehöre schließlich, dass die Konsumenten mündig werden: "Wir brauchen dieses Kant'sche 'sapere aude!', also den Appell,'wage es, vernünftig zu sein!'".
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