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Heiße Flamme

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In den nördlichen Bezirken Wiens, wandern alte Gasherde zum Trödler. Neue Geräte werden im Zuge von Sonderäktionen zu Schleuderpreisen angeboten. Von Tag zu Tag steigt die Zahl jener Backrohre, Durchlauferhitzer und Öfen, die mit dem Erdgas doppelt soviel Energie eingeblasen bekommen als das konventionelle Stadtgas besitzt. Nicht nur in Österreich. Ganz Europa baut heute in zunehmendem Maße seine Energieversorgung auf dem „natural gas” auf.

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In den nördlichen Bezirken Wiens, wandern alte Gasherde zum Trödler. Neue Geräte werden im Zuge von Sonderäktionen zu Schleuderpreisen angeboten. Von Tag zu Tag steigt die Zahl jener Backrohre, Durchlauferhitzer und Öfen, die mit dem Erdgas doppelt soviel Energie eingeblasen bekommen als das konventionelle Stadtgas besitzt. Nicht nur in Österreich. Ganz Europa baut heute in zunehmendem Maße seine Energieversorgung auf dem „natural gas” auf.

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Der Erdgaskonsum auf dem Industrie-, Wirtschafts- und Wohnungssektor verknüpft sich auf lange Sicht mit den immer anspruchsvoller werdenden Lebensgewohnheiten der europäischen Industrienationen. In den Vereinigten Staaten deckt das Erdgas beinahe ein Drittel des gesamten Energiebedarfs. Die Situation erfordert neue Quellen, ergiebigere Felder und rationellere Transportmöglichkeiten. r Das industrielle Wachstum der westlichen Welt verlangt immer mehr nach dem unsichtbaren Gas aus der Tiefe der Erdkruste.

Der reine Brennstoff aus den küstennahen Kontinentalsockeln und aus den unterirdischen Reservoirs fündiger Tiefebenen ist während weniger Jahre zum schnellst wachsenden Faktor der Weltenergieversorgung geworden. Für den österreichischen Verbraucher des heißen Gases öffnen, sich die Grenzen des Ostens. Nach dem Vorbild der kompliziert verwirrenden Pipelinesysteme der USA fließt das früher nutzlos verströmende Gas quer durch ganz Europa. Anderswo verflüssigt man den kostbaren Rohstoff. Nach Abkühlung auf minus 162 Grad Celsius und Reduzierung auf ein Sechshundertstel des ursprünglichen Volumens reist das verflüssigte Gas (LNG) auf eigens konstruierten Erdga stänkern von Alaska und Nordafrika zu den Absatzmärkten Europas, Amerikas und Japans.

Erdgas brennt „rein”, es produziert weder Asche noch Buß. Die Verschmutzung der Atmosphäre wird auf ein Minimum reduziert. Gerätewartung und Lagerung des Brennstoffs fallen weg. Die Heizkapazität erreicht im ersten Moment der Funktion ihren Höhepunkt.

Wo man die Erdkruste nur anzustechen braucht, damit „natural gas” entströmt, dort stellt man heute auch ganze Kraftwerke auf den neuen Brennstoff um. Erdgas entspricht im Verbrennungsprozeß etwa schwefelarmen Heizöl, das die Reinhaltung des natürlichen Lebensraumes wesentlich erleichtert; 1968 begann man in Amsterdam zwei Kraftwerke von Heizöl auf Erdgas umzustellen. Das Resultat war erstaunlich: Schlagartig zeigten die Meßinstrumente der Ökologen eine Luftverunreinigung an, die dem Stand von 1965 entsprach. Das Experiment war voll geglückt.

Im westlichen Europa schießen Wohnkomplexe immer mehr an jenen Stellen in den Himmel, wo eine verläßliche Versorgung mit Erdgas gewährleistet wird.

Die Pariser Banlieue hat ihre Gasversorgung schon auf Erdgas umgestellt. Die 3,5-Millionen-Innenstadt selbst beginnt 1971 damit und wird den Wechsel von Stadt- auf Erdgas Mitte der siebziger Jahre abgeschlossen haben. In der 1,7-Millionen- Stadt Wien wird der Erdgas-Infor- mationsbus der Stadtgemeinde noch bis zum Ende der Dekade sein Dasein fristen müssen. Frankreichs Erdgasanteil am Gesamtgasverbrauch aber wird bereits 1971 die 70-Prozent-Grenze überstiegen haben.

Neben der Industrie ruft die Chemie immer intensiver nach Erdgas. Hier wird es nicht nur als Brennstoff, sondern viel eher als Basisrohmaterial verwendet. Die petrochemische Industrie entzieht dem Erdgas flüchtige Bestandteile und Kohlenwasserstoffe, die sie mit anderen Substanzen verbindet. Daraus werden wichtige Produkte des täglichen Lebens geboren: Plastik, synthetischer

Gummi, Insektizide, Reinigung«- und Konservationsmittel.

Die bange Frage nach dem „Wielange” und dem „Wieviel” drängt sich auf. Bevor man das Jahr 1980 schreiben wird, erwarten die Experten eine Ausdehnung der kommerziellen Erdgasversorgung auf 60 Staaten der Welt. Die sicheren Reserven sind vorhanden. Förderte man 1965 in der westlichen Welt täglich (bezogen auf Erdöl) 1,5 Millionen Tonnen Erdgas, so werden es 1985 3,5 Millionen und am Ende des Jahrhunderts mehr als 5 Millionen Tonnen sein.

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