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Spätzünder im Parlament

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Mit einer Überraschung endete am 15. Oktober nach eineinhalbstündigen Beratungen die Sitzung des parlamentarischen Bau- tenausschusses: Einstimmig wurde das Wohnungsverbesserungsgesetz verabschiedet. Das ist eine echte kleine Sensation, denn selbst die eingeweihtesten Parlamentskiebitze hatten kaum mehr damit gerechnet, daß die Sozialisten in dieser Frage über den eigenen Schatten springen und gerade diesem Gesetz die Zustimmung geben könnten.

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Mit einer Überraschung endete am 15. Oktober nach eineinhalbstündigen Beratungen die Sitzung des parlamentarischen Bau- tenausschusses: Einstimmig wurde das Wohnungsverbesserungsgesetz verabschiedet. Das ist eine echte kleine Sensation, denn selbst die eingeweihtesten Parlamentskiebitze hatten kaum mehr damit gerechnet, daß die Sozialisten in dieser Frage über den eigenen Schatten springen und gerade diesem Gesetz die Zustimmung geben könnten.

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Offenbar schien der Sozialistischen Partei, deren maßgebliche Experten noch vor wenigen Wochen dieser Regierungsinitiative äußerst reserviert bis kühl-ablehnend gegenüberstanden, das Risiko zu groß, durch einen Boykott dem politischen Gegner Munition für eine sicherlich wirksame Kampagne zu liefern. Denn wer läßt sich schon wenige Monate vor Parlamentswahlen vorwerfen, er habe aus parteitaktischen Gründen verhindert, daß tausende Österreicher die Möglichkeit des modernen Wohnkomforts genießen können? So kam es tatsächlich zu diesem parlamentarischen Spätzünder.

Damit kann die Regierungspartei knapp vor Torschluß der laufenden Legislaturperiode die wichtige dritte Etappe in der Reform des Wohnungswesens doch noch in die „Scheune einbringen“.

„Finanzierungswunder“

Jedenfalls als persönlichen Erfolg kann Bautenminister Dr. Kotzina dieses Ergebnis werten, hatte er doch das System ersonnen, wie mit verblüffend geringen staatlichen Mitteln die Modernisierung von Althausstrukturen erreicht werden kann. Den Finanzminister wird das Gesetz im ersten Jahr ganze zwanzig Millionen Schilling, kosten, gleiche Beträge werden den Rückflüssen der alten staatlichen Fonds und den Länderkassen entnommen. Mit diesen 60 Millionen Schilling wird ein Impuls ausgelöst, der innerhalb von zwei Jahren zugunsten der Modernisierung von Altwohnungen ein Baugeschehen im Umfang von einer Milliarde Schilling auslösen wird.

Insgesamt wird die öffentliche Hand in den nächsten zwölf Jahren dafür allerdings rund 600 Millionen Schilling aufwenden müssen, doch wird dies eben in so kleinen Dosierungen geschehen, daß es weder den Staats- noch die Ländersäckel spürbar belastet.

Dem steht allerdings eine beachtliche Wirkung gegenüber, werden doch mit diesen Investitionen voraussichtlich etwa 30.000 Wohnungen in kürzester Zelt in einem Maße attraktiver, wie dies ansonsten, nur durch den Neubau einer gleich großen Zahl von Wohnungen zu erreichen wäre. Der Bau von 30.000 Wohnungen kostet indessen 7,8 Milliarden Schilling, wenn man den in der Landesverordnung zum Wohnbauförderungsgesetz 1968 für Wien als angemessen festgelegten Quadratmeterpreis von 3250 Schilling zugrunde legt und eine Wohnungsgröße von 80 Quadratmetern annimmt. Und dieser Preis, der keine

Grunderwerbskosten enthält, ist sicherlich nicht zu hoch gegriffen. Der Schlüssel zur Lösung dieses „Finanzierungswundens“ liegt im System des Kotzina-Planes. Dem Hauseigentümer, der einvernehmlich mit den Mietern die Wohnungen seines Hauses modernisieren lassen will, hilft die öffentliche Hand, indem sie 40 Prozent der Kreditzinsen und der Rückzahlungen von Darlehen übernimmt. Damit zahlt der Kreditnehmer praktisch sogar weniger zurück als er seinerzeit aufgenommen hat. Finanzexperten haben inzwischen errechnet, daß für aufgenommene 10.000 Schilling tatsächlich nur 9000 Schilling rückzuzahlen sein werden, und dies innerhalb von zwölf Jahren.

Das Wohnungsverbesserungsgesetz ist daher für jeden Bewerber ein schönes Geschäft, so daß sich die Landesregierungen schon jetzt auf einen gewaltigen Ansturm gefaßt machen können. Voraussichtlich werden kaum alle Wünsche befriedigt werden können, denn das Wohnungsverbesserungsgesetz ist vorerst auf die Jahre 1970 und 1971 beschränkt.

Das Gesetz wird außerdem dem Winterbau zugute kommen, und hier fällt der eigentliche Wermutstropfen in den Kelch der jüngsten Einigung: Überflüssigerweise kommt sie nämlich für heuer schon zu spät.

Goldene Brücken

Der Entwurf des Wohnungsverbes- serungsgesetzes befindet sich bereits seit Ende März dieses Jahres im Parlament. Doch während im Hohen Haus eine dringliche Anfrage die andere jagte, weigerte sich SPÖ- Klubobmann Pittermann zunächst beharrlich, diese Materie parlamentarisch behandeln zu lassen. Mit Ach und Krach konnte schließlich durchgesetzt werden, daß das Gesetz wenigstens einem Unterausschuß des Bautenausschusses zugeleitet wird. Dann kamen die Parlamentsferien.

Jetzt bauten die ÖVP-Verhandler goldene Brücken, indem sie auch die Gemeinden an die Futterkrippe der Wohnungsverbesserung heranließen. Ein Viertel aller Mittel wird demnach für die Modernisierung von Gemeindewohnungen verwendet werden. Für Wien, mit dem qualitativ schlechtesten Wohnungsbestand Österreichs, ist diese Regelung von besonderer Bedeutung.

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